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Interview: Thomas Lemmer - Still

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Das Musik-Genre des „midtemporierten Entspannungs-Chillouts“ ist stark umkämpft und reproduziert dabei eine unzählige Menge an Produktionen, die als Einwegbeschallung selten die Repeatschleife unseres Medienplayers überleben. Umso mehr erfreut es, wenn es tatsächlich ein noch unverbrauchter Künstler (in diesem Fall der Osnabrücker Thomas Lemmer) schafft, die Beliebigkeitshürde deutlich zu überspringen und mit seinem dritten Album „Still“ sogar eine eigene Stil-Schublade zu öffnen, denn selten erklungen Tracks dieser Musikgattung so auskomponiert und filigran. Nicht nur Lemmers Pianospiel liegt dabei sehr deutlich über dem marktüblichen Drei-Akkorde-Einheitsbrei,  er traut sich sogar daran, vokale Stücke mit deutschsprachigen Texten zur vereinen. Die beiden Sängerinnen intonieren derart himmlisch und verzaubernd, so dass man sich für einen kurzen Moment in einem Lloydschen Musical vermutet, ehe der Folge-Song uns auf das nächste Kontrastprogramm einzustimmen vermag. Die Hardcover-Version mit 18seitigen Booklet passt exzellent zum Gesamtkonzept des Albums und kann sogar als lehrreiche Referenz für Nachwuchs-Chiller herhalten, die sich noch immer am perfekten Relax-Produkt versuchen.

Weitere Details zur Produktion erfuhren wir in einem kurzen Interview.

empulsiv: Dein neues Album "STILL" führt Deinen bisherigen Sound der Vorgänger-Alben wieder ein Stück weiter. Was hat sich Deiner Meinung zu den vorherigen Produktionen verändert?

Thomas Lemmer: Was die Produktion von STILL angeht, so habe ich noch mehr an individuellen Sounds gefeilt. Ich habe meine alten analogen Schätzchen wieder „ausgepackt“ oder auch von diversen virtuell analogen Instrumenten Gebrauch gemacht. Das direkte Eingreifen in Sounds durch analoge Regler ist für mich inzwischen unerlässlich geworden. Auch bei den Drums habe ich diesmal mehr virtuell analoge Sounds genutzt. Sprich, im Gegensatz zum Vorgängeralbum RELIEVE ist es insgesamt etwas elektronischer und wie ich finde „erwachsener“ geworden.

e: Auf den 18 Titeln finden sich sowohl instrumentale als auch Vocal-Tracks. Wie unterschiedlich ist für Dich die Herangehensweise?

TL: Sehr unterschiedlich. Bei den Instrumentals bin ich im Grunde erst mal komplett allein und bekomme während der Produktion quasi fast kein Feedback. Ich entwickele die Songs und Ideen im Grunde durch Improvisieren. Bei den Vocal Tracks ist das anders. Das geht schon mit der Komposition los. Manchmal hat man einen Text zuerst, manchmal eine musikalische Idee und man passt den Text oder die Musik jeweils an. Beides muss ja zusammen funktionieren. Die Vocal Tracks sind fast alle in direkter Zusammenarbeit mit den Sängerinnen Naemi Joy und Sabrina Vieweber entstanden. Das ist für mich auch das besondere an STILL. Diese Interaktion zwischen uns Musikern die mir bei RELIEVE ein wenig gefehlt hat.

e:Wie würdest Du Deine Musik am ehesten kategorisieren?

TL: Ich denke ich würde es irgendwo zwischen Chillout, Electronic und Pop eingliedern.

e: Welche Instrumente bzw. Synths hast Du aktuell eingesetzt?

TL: Ganz unterschiedlich. Natürlich sind einige VST Instrumente genutzt, so z.B. einen KORG Polysix, den MS20 oder auch die Wavestation. Als Hardware hatte ich den Waldorf Blofeld und den Rocket im Einsatz, außerdem meinen alten Roland Juno 60. Für die Pianos habe ich meistens meinen KORG KRONOS X genutzt. Die Drums habe ich u.a. mit NI Maschine programmiert.

e: Ist es Dir weiterhin wichtig auch mit externen Geräten zu arbeiten und welche inspirieren Dich dabei besonders?

TL: Sehr sogar. Ich mag wie gesagt das direkte eingreifen in Sounds und das ist bei Hardware Synths einfach immer noch am intuitivsten und schnellsten. Am kreativsten war ich mit dem Waldorf Rocket. Es gibt kein einziges Preset oder irgendwelche Effekte und du musst dir wirklich alles selbst „zusammenschrauben“. Aber das macht gerade den Reiz aus. Zum Komponieren nehme ich meist meinen KORG KRONOS X. Das Piano des KRONOS spielt dabei für mich eine große Rolle.

e: Das "Klavier" ist über alle Stücke hinweg ein scheinbar bedeutendes Element für Dich. Woher rührt Deine Affinität zum Piano?

TL: Definitiv. Es ist so etwas wie mein roter Faden durchs Album. Ich habe als Jugendlicher klassischen Klavierunterricht bekommen und bin quasi mit dem Klavier aufgewachsen. Synths kamen erst viel später. Piano Sounds sind einfach zeitlos und können gerade im Chillout- oder Electronic-Bereich den Songs eine unheimliche Tiefe und Weite geben.

e: Wo und womit habt ihr die Gesangsaufnahmen gemacht und wie wurde es gemischt bzw. finalisiert?

TL: Die Vocals haben wir direkt im Studio mit einem Neumann TLM 103 über einen MindPrint EN-VOICE MKII aufgenommen. Gemischt wurde es dann in Cubase 7. Das Mastering hat dann Thomas Hauser von Sine Music übernommen.

e: Das CD-Artwork ist sehr hochwertig designed. Wie wichtig ist Dir die Qualität Deines "Produktes"?

TL: Sehr wichtig. Ich bin ein bisschen perfektionistisch veranlagt und deshalb ist mir auch jedes einzelne Detail so wichtig. Dazu gehört eben auch das Artwork. Ich habe das besondere Privileg mit Javier Pardina zusammenarbeiten zu dürfen. Auch für STILL hat er wieder wunderschöne Bilder gemacht. Wir haben ein ganzes Booklet mit seinen Aufnahmen und den Texten zu den Vocal Tracks usw. Man bekommt das Booklet auch, wenn man das Album auf iTunes kauft. So bleibt es nicht nur CD Käufern vorenthalten.

e: Wird es "STILL" auch live zu sehen geben und welche Projekte stehen als nächstes an?

Die Idee STILL live umzusetzen steht schon im Raum und es gibt auch schon Anfragen. Aber ich muss mir über die Umsetzung noch Gedanken machen. Definitiv würde ich das gerne. Nur muss es dann auch alles passen und stimmig umgesetzt werden. Als nächstes wird es noch dieses Jahr zwei Single Auskopplungen geben und diverse Remixer arbeiten bereits an einer REMIX EDITION für das kommende Jahr. Als nächstes größeres Projekt würde ich gerne mal ein Ambient Album produzieren und hab da schon einige konkrete Ideen.


www.thomas-lemmer.com

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