Zeitreise unter den Sternen - Sound of Sky goes History

Wenn ich in ein paar Jahren auf 2022 zurück blicke, dann wird diese Jahreszahl - sicher nicht nur bei mir - eher gemischte Erinnerungen wecken. Das Corona-Virus ist zwar so weit gebändigt, dass wieder Live-Konzerte stattfinden dürfen. Es wird in den Annalen der EM-Szene aber in erster Linie das Jahr sein, in dem so viele Musiker ihre kosmische Adresse geändert haben. Neben Namen, die außerhalb unserer Szene (leider) eher wenig Bekanntheit erlangt haben, stechen daraus natürlich Klaus Schulze und Vangelis hervor.

sos 2022 history foyer

Diese Ereignisse mögen der letzte Anstoß dafür gewesen sein, dass Stefan Erbe und Klaus-Dieter Unger ein lange geplantes Projekt in die Tat umgesetzt haben: Der Titel des heutigen "Sound of Sky" im Planetarium Bochum lautet "SoS Goes History". Ich weiß nicht, wie es Euch geht, wenn Ihr mit der heutigen 'Jungen Generation' redet: Es wird wie selbstverständlich elektronisch erzeugte Musik gehört und konsumiert. Zählt man hingegen die Namen der Bands auf, die in den 70er-Jahren den Grundstein für all das gelegt haben, sind oft nur Schulterzucken und große Augen die Reaktion. Es wäre also durchaus einmal an der Zeit, diese Zusammenhänge einmal ins Gedächtnis zu rufen, aber nicht in belehrender Form, sondern als Musikshow mit Stefan Erbe als Gastgeber und "Moderator" des Abends.

Aber fangen wir mit der Berichterstattung dort an, wo für uns ein "Sound of Sky" Abend üblicherweise beginnt, nämlich mit dem Abendessen davor - die Show ist wie üblich die letzte des Abends im Planetarium und beginnt erst nach 21 Uhr. Es liegt mir als "nicht-Ruhrie" natürlich fern, mich an dieser Stelle als Führer durch durch die Bochumer Gastronomie zu betätigen, das eine oder andere Restaurant in der Umgebung haben wir aber schon angetestet - und sind eigentlich noch nie enttäuscht worden. Der Weg hat uns heute ins "Parkschlößchen" geführt, etwa zehn Minuten vom Planetarium entfernt, wo solide Kost in gediegenem Jugendstil-Ambiente geboten wird. Was ich mir hier nicht verkneifen kann: Der Currywurst-Snack als Vorspeise, stilecht serviert in der Pappschale mit Piekser.

Zurück im Planetarium, stellen wir erfreut fest, dass sich das Foyer bereits gut gefüllt hat, obwohl es noch knapp 45 Minuten bis Beginn der Show ist. Stefan, Klaus-Dieter, und natürlich auch der Rest der "PlaBo-Teams" dürfen durchaus darauf stolz sein, dass es diese Ausgabe von "Sound of Sky" in die Zeitung geschafft hat - mit dem daraus resultierenden Zuspruch. Die Kuppel wird heute bis auf vielleicht 50 Plätze voll besetzt sein, und im Foyer führt man das eine oder andere Gespräch mit Besuchern, die in den 90er-Jahren noch "Schwingungen" mit Winfrid Trenkler gehört haben, und jetzt ganz überrascht sind, dass die von Jarre, TD & Co. definierte Spielart der elektronischen Musik mit Dance, Techno und House, und dem Ende von "Schwingungen" nicht ausgestorben ist. Sie wurde und wird von nachfolgenden Generationen von Musikern weiter geführt. Ein ums andere Mal wird man um Empfehlungen gebeten, welches der ausgelegten Erbe-Alben denn das beste wäre ("Kaufen Sie einfach alle, sie sind alle gut..."), was es denn mit dem Schallwende-Verein auf sich hat und bei welchen Internet-Radios man diese Musik hören kann.

Aber der Rest des heutigen Abends soll ausnahmsweise nicht der Gegenwart, sondern den EM-Pionieren der 70er- und frühen 80er-Jahre gehören. Frau Professor Hüttemeister ist  heute verhindert, so ist es an Stefan, die den Meisten vertrauten 'Spielregeln' im Planetarium näher zu bringen: Alles was Licht und Geräusche macht, bleibt die nächsten anderthalb Stunden ausgeschaltet in der Tasche, und wer die Kuppel während der Vorstellung verlässt, muss leider draußen bleiben. Dann kann er sich dem Thema der heutigen Show zuwenden, deutlich ausführlicher als gewöhnlich:

Die Wurzeln der elektronischen Musik liegen in den 70er-Jahren, und sie klang damals anders als heute. Das war einfach zwangsweise so, war die Idee der elektronischen  Klangerzeugung damals noch neu. Die Technik war viel primitiver und begrenzter als heute, und hat mit jedem Entwicklungsschritt den Musikern neue Ausdrucksmöglichkeiten gegeben, die heute selbstverständlich erscheinen, seinerzeit aber erst einmal erforscht und ausgetestet werden mussten. Und zum anderen war die Stimmung in der Gesellschaft auch eine andere: Viele existierende Strukturen waren gerade aufgebrochen worden und das Interesse an "Neuem" war ein anderes als heute, wo Veränderungen zum Teil eher bekämpft werden und versucht wird, das Rad der Geschichte zurück zu drehen. All das erzählt uns Stefan, während er vor dem Sternenprojektor auf und ab geht, in seiner bekannt launischen und unterhaltsamen Art, nicht ohne den einen oder anderen sanften Seitenhieb zu verteilen. Er bittet auch noch einmal um Verzeihung dafür, dass der Einlass sich etwas verspätet hat. Auch Stefan ist am frühen Abend ein wenig in dem Stau stecken geblieben, der durch das Fußballspiel im Stadion nebenan verursacht wurde und die direkte Zufahrt zum Planetarium behindert hat. So hat sich leider der Aufbau ein wenig verzögert.

Den Rest des Abends sollen aber nur noch zwei Dinge sprechen: Die von Stefan ausgesuchte Musik sowie die Projektionen an der Planetariumskuppel, die Klaus-Dieter Unger dazu live produzieren wird. Der Einstieg ist sanft, aber mächtig, so wie es nur der kürzlich verstorbene Vangelis verstand: Auszüge aus dem Soundtrack zu "Blade Runner", und als wollte Klaus-Dieter den Himmel noch etwas mehr weiten, lässt er die Projektionsfläche halb transparent erscheinen, während die Wolken über uns ziehen. Schnurstracks geht es weiter ins All, und auf diesem Weg begleiten uns Auszüge von Tangerine Dream's 1979er-Album "Force Majeure" - eine clevere Wahl, war dieses Album seinerzeit auch für TD ein Aufbruch in neue Klangwelten, nach den Sequenzer-getragenen langen Stücken der früheren Jahre.

Etwa um die gleiche Zeit erschufen vier kreative Köpfe in ihrem Düsseldorfer Studio einen EM-Klassiker nach dem anderen. Gerade die Musik von Kraftwerk ist es, auf die sich viele aktuelle Spielarten der EM berufen, und als wollte Stefan das unterstreichen, läuft "Radioaktivität" nicht in der Originalversion von 1975, sondern in der remixten Version, wie sie Kraftwerk heutzutage selber auf ihren Konzerten spielt. Passend dazu feuert Klaus-Dieter Unger ein Feuerwerk aus Lichtblitzen ab.

Kontrastprogramm im Anschluss, und ein Sprung ein paar Jahre zurück: Klaus Schulzes Track 'Floating' von seinem Album 'Moondawn' gilt als absoluter Klassiker der Berliner Schule, und passend zu den sich wiederholenden Klangstrukturen drehen wir uns wieder und wieder um den Erdtrabanten. Wer von den 'großen Namen' fehlt jetzt noch: Richtig, Jean-Michel Jarre aus Frankreich, aber nicht mit 'Oxygene', was man vielleicht erwartet hätte. Zum vorigen Track passt besser 'Arpeggiator' von der 'Concerts in China'. Auch dieses Album dokumentiert eine Pionierleistung, nämlich die ersten Konzerte eines westlichen Musikers im Reich der Mitte, das sich zu dieser Zeit gerade zu öffnen begann.

Es ist bisher vielleicht eine knappe dreiviertel Stunde vergangen, aber Stefan hatte uns versprochen, dass der verspätete Beginn durch Länge mehr als ausgeglichen wird. So setzt sich der Reigen aus Klassikern noch eine ganze Weile fort, immer begleitet von dazu passenden Visuals. Gelegentlich lässt Stefan es sich auch nicht nehmen, noch ein wenig seiner eigenen musikalischen DNA hinzu zu fügen. Ein weiter Klassiker fast ganz zum Schluss: "White Eagle" von Tangerine Dream, vielen bekannt als Titelmusik zu einem Schimanski-Tatort und von der Wahrnehmung her für TD wohl der größte Erfolg, schlägt die Brücke zu Bochum und dem "Ruhrpott".

 

Wie immer am Ende eines "Sound of Sky", kommt das bescheidene "Vielen Dank" von Stefan für die Aufmerksamkeit, und der Hinweis, dass er noch eine Weile für Gespräche im Foyer zugegen sein wird. Dieses "Sound of Sky" wird mir als ein besonderes in Erinnerung bleiben. Es ist wertvoll, gelegentlich zurück zu schauen und sich daran zu erinnern, auf  welchem Weg man in der Gegenwart angekommen ist. Das hilft dabei, den Kurs für die Zukunft zu bestimmen, und ich bin sicher, dass Stefan Erbe zu diesem beitragen wird - mit seiner Musik, und mit seinen Shows im Planetarium Bochum. "Sound of Sky" wird seine Fortsetzung finden, dann wieder mit Musik aus dem hier und jetzt.

Alfred Arnold