Kolumne: Dischäis

Als "redaktionierender" Kolumnist hat man natürlich auch die Aufgabe vielfältige und erkennbare Misstände zu recherchieren und aufzudecken. Nicht nur wenn es um kontroverse Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten in der synthetischen Welt geht bin ich immer ganz vorn mit dabei, sondern auch wenn es in der normalen Welt um Unrechtsbekundungen und Sachverhalte geht schaut der Schreiberling schon mal genauer hin und versucht eine praktikable Essenz, auch für uns Musikschaffende daraus abzuleiten. Gerade die EM-Szene scheint ja in der weltweiten musikalischen Nahrungskette immer noch "Einzellerstatus" zu besitzen und kann immer mal wieder funktionierende (über)Lebensweisheiten gebrauchen. Betrachten wir dazu mal ein paar Grenzgebiete in der Musikwelt.

Es sei das  Beispiel des Plattenauflegers genannt. Welches wahrhaftiges Können wohl erforderlich ist , eine Ansammlung von Tracks hintereinander zu stellen, diese fehlerfrei auf einem Abspielgerät seiner Wahl zu starten, die geeignete Lautstärke einzustellen und ca. 173 Minuten im Takt der Musik mitzuschwingen bzw. zu headbangen. Dazu diverse "chicas" auf der Bühne in den Armen halten, sich Kaltgetränke reichen lassen und mit dem einklappbaren Kopfhörer nur auf einer Ohrseite hängend , den Schieberegler des nicht benutzen Kanals dabei auf- und abzuschieben. Dies nennt sich "Dischäiing". Eine Tätigkeit die sich mir in der eigentlichen Leistung noch nicht erschlossen hat. Gerade dann wenn tausende von Jünger ins Wochenende starten, um den großen coolen Plattenteller-Leger zuzujubeln, schleicht sich bei mir der Monty Phytonsche Begriff " Folgt der Flasche" in die Hirnrinde meines Kopfes.

Würden wir diese speziellen Fähigkeiten auf das normale Leben anwenden, ergäben sich womöglich neue Künstlerberufe. Zum Beispiel im Einzelhandel brächte eine logistische Anwendungen des Dischäings ungeahnte Möglichkeiten. Betrachten wir den Einzelhandelsfachverkäufer wie er die Produkte in die Regale einsortiert, so ließe sich doch eine Adaption der Leistung durchaus ableiten. Man müsste dies nur auf eine etwas künstlerische Form tun, indem man eben wie beim Dischäing, den Ablauf "hyped" und eine Art Zusatzleistung herumstellt.
Während nun die weibliche Azubis in kurzen und bunten Kitteloutfits um den kistendrehenden Probanten tanzen, während dieser Maggi und Nestle Produkte in einer unnachahmlichen Art aus den Kartons zieht, drehend und in den Knien wippend, sie sauber aufstapelt, dazu die Klebefolie immer wieder im gleichsamen Rhythmus auf- und abgezogen wird, sodass die arbeitslose und einkauswagenschiebende Menge bedingungslos tobt und die Öffnung weiterer Verpackungseinheiten einfordert. Jetzt noch alles ins richtige Licht gerückt und vom Marktleiter ordentlich anmoderiert, könnte ein neuer Hype geboren sein. Wichtig ist aber immer, dass eine künstliche Form der "Verarsche" die Konsumenten davon überzeugt, dass es ab heute gerecht ist alle Preise im Supermarkt um 10 Prozent anzuheben, da das neue Erlebnis-Shopping nun von unglaublichen RE-Jays (Regaleinräumern) präsentiert wird. Sie verstehen halt in Handwerk. Nein, da werden nicht einfach Kisten geöffnet und unstrukturiert regalisiert, es muss ja auch die richtigen Reihenfolge besitzen, Warenübergänge in den Fächern müssen sauber vermischt werden und das sprachliche Auffordern des Publikums mit Megafonartiger Lautstärke "seid ihr alle noch da?" und "ich will Eure Hände sehn" bringt noch den netten Nebeneffekt der Ladendiebstahlkontrolle mit sich.

Nun, verlassen wir wieder die Traumwelt der ALDI- und Lidl-Regal-Einräumer und schauen nochmal in die Clubs, Bars und Diskotheken, in der wir die wahren Künstler finden die Abend für Abend etwas leisten, was sich kaum einer vorstellen kann. Musik auszuwählen und dabei Cool auszusehen! Ich habe es nie so richtig verstanden, worin da die Leistung liegt. Was macht die Aufgabe so selektiv, so dass es nur ein paar wenige können? Was sind das für Übermenschen die es schaffen Low-Cut von High-Cut an einem Digitalpult zu unterscheiden und sich in jahrelanger Akribie die Fähigkeit des Cueing einverleibt haben? Ist es eine Form der Religion, die es uns Sterbliche unmögliche macht, eine Auswahl diverser Stücke auszuwählen, die eine Sinnhaftigkeit in der Abfolge ergeben?

Auch mit der Gefahr, dass sich der Autor auf keiner Plattenauflegveranstaltung mehr gefahrlos umhertreiben kann, aber ich sehe keine besondere Leistung in diesem Handwerk und verlange ab sofort, dass auf den kommenden EM-Veranstaltung nun ähnliche Szenarien abgehen sollten. Öffnet und schmeißt also mehr Textilien, äußert Nachwuchswünsche vom Konzertgebenden und konsumiert ekstatisch die 16tel Sequenzen. Auch wenn sich der Künstler scheinbar hinter seinem Equipment versteckt hat und noch nichts von dem neuerlichen Trubel in den 2 Konzertreihen mitbekommen hat...bitte nicht aufgeben!