Ecki Stieg - Hinterland

cover stieg 150Wer den Namen Ecki Stieg schonmal gehört hat, wird ihn hauptsächlich als Radiomoderator der Sendung Grenzwellen kennen, zu die er Mittwochs ab 21.00 auf Radio Hannover einlädt. Sein musikalisches Angebot dabei ist äußerst vielschichtig und dennoch erkennt man bei regelmässigen Zuhören, dass Stieg auch eine große Leidenschaft für das Genre des elektronischen Ambient besitzt. Nicht nur Insider wissen, dass Ecki gelegentlich auch selbst musikalisch aktiv ist und war. Dass es nun tatsächlich einen eigenen offiziellen Release von ihm gibt, dass das Genre der stillen Musik bedient, ist also nicht wirklich verwunderlich. 
Die ersten Eindrücke der 3! Tracks vermitteln sofort eine signifikante Richtung. Stiegs Musik, die er gemeinsam mit Musikerfreund Georg Kochbeck produziert hat, lebt von der Stimmung einer beinahe "stehenden Musik". Die gedankliche Interpretation und die namentliche Hilfestellung des Albums und von Track Nummer 3, platzieren uns in eine Stase eines immerwährenden Blickfeldes.
Dabei schauen wir in die Natur, in einen Ausschnitt, in eine Landschaft, die uns über die vielen Minuten des Stückes fesselt und uns nicht abwenden lässt. Umso länger wir auf dieses Stück Erde schauen, desto mehr schauen wir in uns und verwenden den Sound von "Hinterland" als Erkenntnis zum eigenen Seelenzustand. 
Es ist faszinierend wie wenig es manchmal an tonalen Dingen braucht, um sich über 40 Minuten mit einer vermeindlich simplen musikalischen Betrachtung zu beschäftigen. Die Kunst der Reduktion ist hier nicht nur aufgegangen, sondern erzeugt eine außergewöhnliche, teils surreale Stimmung. Weniger war Mehr? Wahrhaftig!
 
 
Stefan Erbe  

Electric Mud - The inner World Outside  

elctric mud inner150Der Empulsiv-Redakteur erinnert sich noch immer an den renzensiven Erstkontakt den er mit dem Duo Bretschneider/Walser und deren Album "Quiet Days on Earth" hatte. Schon damals forderte die tonale Vielfältigkeit des Silberlings die gesamte körperliche Aufmerksamkeit des Zuhörers, um das Universum der beiden Sounderzeuger in Gänze zu realisieren. Auch auf ihrem neuerlichen Angebot einer Zusammenstellung mit beinahe aller existierender Musikgenres unseres Globus, verdichtet sich der Eindruck, dass die wichtigste Aufgabe des Duos ist, es sicherzustellen, dass der Kontrast zwischen den Stücken so manigfaltig sein muss, wie es eben nur geht (Der Leser mag an dieser Stelle erkennen, dass der Autor mit der Verwendung des letzten verschachtelten Satzes, bereits in ähnlich abstrakte Welten abgebogen ist).
Der sich daraus bildende Widerspruch, umso komplexer desto schwieriger, löst sich aber bereits nach den ersten Tracks wieder auf, denn die Magie, die Stimmungswechsel und die investierte künstlerische Qualität ist surreal aber eben auch voller Anziehungskraft. Die mainstreamentfernte Wahl den Sound zwischen orchestralem Progrock, jazzige Electro und trivalen Pianoelementen anzusiedeln, gibt kaum Zeit, über das gehörte zu sinnieren und hinterlässt die Frage, wieviel Zeit es wirklich braucht, die Welt dieser außergewöhnlichen Musik komplett zu verinnerlichen. Damit müsste auch der Albumname nochmal hinterfragt werden, denn eigentlich müsste es heißen "The Outer World inside".
 
 
Stefan Erbe
 

Stefan Erbe - Distopia

a11

Mit seinem neuen Album gibt Stefan Erbe dem geneigten Hörer eine kleine Denksportaufgabe auf. "Distopie" verbindet man mit Chaos und Unordnung. Dass es davon aktuell genug gibt, ist unbestritten, dafür genügt ein Blick in die Nachrichten. Aber wo lauert das Chaos auf diesem Album? Stefan selber hält sich mit Erklärungen dieses Mal (bewusst?) bedeckt. Nehmen wir dies als Herausforderung, einmal selbst etwas tiefer zu forschen:

Die Einsteiger-Tracks von "Distopia" vermitteln bei mir eher das Gefühl, auf Wolke Sieben zu schweben - ein Bild heiler Welt und Sound-mäßig schon mehr als nur ein wenig Erbe-Retro. Der Bruch kommt mit "The Day we lost ourselves": Der Ton wird rhythmischer und härter, irgend etwas hat die bisherige Harmonie zerstört. Kurze Zwischenspiele in "At the edge of Storm" und "Last lost Paradise" geben dabei nur kurze Atempausen, bis der Schluss-Track "Breakout" den Ausweg zeigt. Dieser Ausklang ist wieder ein harmonischer, aber ein anderer - zurück an den Anfang geht es aber nicht, der Kreis schließt sich nicht.

"Distopia" erzählt für mich die Geschichte einer Zeitenwende: Wie als sicher geglaubte Dinge sich auflösen und nach einer Phase der Verwirrung, und dem zum Scheitern verurteilten Versuch, am Bisherigen festzuhalten, zu einer Neuorientierung zwingen. Das kann man als Parabel auf die aktuellen Verhältnisse in unserer Welt sehen: Pandemie und Klimawandel zwingen zum Umdenken, weil das "weiter so" eben nicht mehr funktioniert. Aber auch im persönlichen Umfeld gibt es immer wieder Fälle, wo man ohne einen Neuanfang eben nicht weiter kommt.

Unabhängig von diesen philosophischen Betrachtungen ist "Distopia" ein Album, das man auch ohne Kenntnis des Schöpfers beim ersten Hören als eines aus der Erbe-schen Klangwerkstatt identifiziert. Wie immer haben dabei diverse neue Sounds Eingang und ihren Platz gefunden. Man kann und darf den Versuch unternehmen, "Distopia" einfach nur unter diesen Gesichtspunkten als einen Neuzugang in der prall mit Erbe-Alben gefüllten Musikbibliothek zu rezipieren. Aber alleine der Titel gibt mehr als nur einen Wink, dass man dem Album damit nicht gerecht wird. Die Botschaft ist vorhanden, wenn man sie nur hören möchte: Wenn es nicht mehr so weiter geht wie bisher, muss man eben zu neuen Ufern aufbrechen. Aber das ist bei Stefan Erbes Alben nichts Ungewöhnliches, hier ist auf einem neuen Album noch nie der Vorgänger einfach nur reproduziert worden. Insofern habe ich keine Sorge, dass "Distopia" ein musikalischer Schlusspunkt sein könnte, ich bin Gegenteil gespannt, wie das Neue aussehen wird. Lieber Stefan, lass uns nicht so lange warten!

 https://erbemusic.com/

Alfred Arnold

 

Stan Dart - Electronic

Cover ELTWenn Stan Dart ein Konzeptalbum veröffentlicht, ist das erfahrungsgemäß schon was Besonderes. Auf jeden Fall außergewöhnlich ist das „Extremly Large Telescope“, das in wenigen Jahren in der Atacama-Wüste von Chile in Betrieb genommen wird - und diesem Monstrum ist das neue Album gewidmet. Das Teleskop ist größer als das römische Kolosseum und hat entsprechend das größte Spiegelglas der Welt für den ultimativen Blick ins All.
Ich starte mit „Cerro Amazones“ und bemerke, dass weder ein sakraler noch ein spaciger Charakter wie auf den vorherigen Alben die Soundrichtung angibt. Vielmehr ist es verheißungsvoll rhythmisch. Der zweite Titel „Construction Time“ erinnert mich an den Monstertrack „La Sagrada Familia“ vom letzten Konzeptalbum – und das war schon bärenstark. Ein packender, geiler Beat zieht mich immer weiter vorwärts bis zum Ende des knapp 14minütigen Tracks. Wer da noch bewegungslos bleibt, kann nur körperlich eingeschränkt sein. Mit viel Power und Spielfreude würdigt Stan Dart in den folgenden Tracks die Multi-Spektografen oder Bildkameras des ELT. „Mosaic“, „Metis“ „Maory“ oder „Micado“ - alle Songs gefallen durch einen rasanten Rhythmus und bleiben dabei doch so angenehm easy-listening. Wenn dann im Titel „HiRes“ noch eine sagenhafte Lead-Gitarre aus dem Off ertönt, wird es auch noch zauberhaft. Dieses positive Feeling setzt sich bis in den finalen Track „Harmoni“ fort. Das klingt fantastisch – das klingt nach Suchtgefahr! Stan Dart tüfftelt kontinuierlich an seinen individuellen, traditionellen Electronic-Sound. An manchen Stellen könnte er sogar seinen Peak erreicht haben. Es ist sicherlich gewagt, über eine Albumlänge einen kontinuierlichen Rhythmus zu präsentieren. Doch „Electronic – Part One“ ist komplett gelungen. Im zweiten Teil des Konzeptalbums gibt’s ein paar ruhigere aber auch kraftvolle Tracks, die zwar allesamt zum Thema passen, jedoch ihre Eigenständigkeit bewahren. Als Bonus schließt das Werk mit einem 51minütigen Continuos-Mix ab. EM-Freund, was willst du mehr?

Erhältlich ab 28. Februar bei Bandcamp.

https://standartmusicbox.bandcamp.com/

Will Lücken

Tonal Assembly - Four Pieces for Sonic Solitude  

cover150Der Niederländer Taede Smedes offeriert mit seinem 5. Album absolut keine Resteverwertung, auch wenn das Material bereits ein ganzes Jahrzehnt auf dem heimischen Rechner für eine Veröffentlichung zu warten schien. Die 4 Geschichten der Space-Reise sind inspiriert durch die Geschichte der Voyager Sonde und erzählen auf die typische melodiöse Tonal Assemby Weise ihren ganz eigenen Spannungsbogen. Das geschulte Fan-Ohr erkennt den Unterschied zu den aktuelleren Alben von Smedes, erhält aber trotzdem, 51 Minuten voller endloser Flächen, hübscher Leadmelodien und Spacegeladener Musik, die ganz sicher eine Veröffentlichung wert sind. Also: Kopfhörer auf und Augen zu. 
 
 
Stefan Erbe

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.