Unter den Orten, an denen man vor der Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns regelmäßig elektronische Musik live hören konnte, und an denen das mittlerweile auch wieder der Fall ist, fehlte noch einer, nämlich das Planetarium des LWL-Museums in Münster. Regelmäßiger Organisator war hier Bernd "Moonbooter" Scholl, der meist nicht nur selber gespielt, sondern auch den einen oder anderen Gast noch dazu eingeladen hatte.
Das letzte Mal, dass dem so war, war im Herbst 2019. Dann kam die Zeit der Lockdowns, und als im Sommer des letzten Jahres zum ersten Mal wieder Veranstaltungen unter einigermaßen "normalen" Bedingungen erlaubt waren, wurde Bernds Heim in der Eifel Opfer der Flutkatastrophe - für viele Monate musste die elektronische Musik hinter wichtigeren Dingen zurückstehen. Und schlussendlich war das Planetarium wegen Umbauarbeiten auch noch einige Monate geschlossen. So kam es, dass Bernd Scholl erst wieder im Früh-Herbst dieses Jahres ein Konzert in Münster ankündigen konnte. Angesichts der Dinge, die in der Zwischenzeit passiert sind und unser aller Leben dauerhaft verändert haben, ist "From Past to Future" eine sehr treffende Überschrift.
Die Besucher, die den Weg zum LWL-Museum am Sentruper Weg gefunden haben, durften also in mehrfacher Hinsicht gespannt sein, was sich alles in den letzten drei Jahren verändert hat. Die erste Überraschung erwartet uns gleich an der Einfahrt zum Parkplatz: Es gibt keine Schranken mehr. Stattdessen erfassen Kameras das eigene Nummernschild und die Einfahrtzeit. Vor Ausfahrt gibt man an einem Automaten das eigene Nummernschild ein und bezahlt entsprechend der Park-Dauer. Da es keine Schranken mehr gibt, wird man nicht daran gehindert, einfach so wieder auszufahren, aber dann muss man mit unangenehmer Post rechnen. Wer nicht häufiger mit dem Auto im Ausland unterwegs ist, für den mag dieses System ungewohnt sein, aber ein Fortschritt ist es auf jeden Fall. Beim alten System musste man daran denken, rechtzeitig eine spezielle Parkmünze zu kaufen, die die Schranke an der Ausfahrt öffnet - und die Kasse war bei Konzert-Ende üblicherweise schon geschlossen.
Wesentlich interessanter ist natürlich das, was unter der Kuppel neu hat. Der Sternen-Projektor in der Mitte wurde ausgewechselt, und wenn man seinen Vorgänger noch kennt, dann könnte man meinen, dieses Exemplar wäre zu heiz gewaschen worden - er ist gerade einmal doppelt so groß wie ein Fußball, erzeugt aber genauso helle und klare Bilder. Dieser technische Fortschritt ist schon beeindruckend, vor allen Dingen im Vergleich zu seinem Hantel-förmigen und übermannsgrossen Vor-Vorgänger, der neben dem Einlass als Museumsstück steht. Auch die "Leinwand" wurde verbessert, sie ist jetzt eine durchgehende Fläche, während ihre Vorgängerin noch aus einzelnen "Kacheln" zusammengesetzt war -
das konnte man bei hellen Projektionen gelegentlich sehen.
Aber nicht nur an der Technik wurde gearbeitet: Die Bestuhlung besteht nach wie vor aus einzelnen, frei drehbaren Sesseln, die sind jetzt aber um einiges bequemer und dicker gepolstert. Und was für Musik-Veranstaltungen ganz wichtig ist: Ähnlich wie in Bochum gibt es jetzt eine feste Bühne, Musiker müssen ihre Instrumente nicht mehr improvisiert in einem der Gänge aufbauen.
Und eben diese Bühne darf Bernd heute einweihen, "From Past to Future" ist nämlich die erste offizielle Musikshow in diesem rundum erneuerten Planetarium. Einen Gast-Musiker hat er heute nicht dabei, man will am Premierenabend wohl noch nicht gleich alles wagen. In seinen einführenden Worten geht Bernd darauf ein, und auf die schwierige Zeit, die hinter uns und ganz besonders ihm liegt. Die Zeiten vor uns werden wohl auch nicht einfach werden, und sein Wunsch ist es, dass wir heute Abend die ganzen Sorgen einfach mal draußen lassen und ein paar schöne Stunden erleben.
Ach ja, auf ein "Dauer-Thema" geht Bernd auch noch ein: Wer nach ihm in Internet sucht, soll auf jeden Fall seinen Künstlernamen "Moonbooter" verwenden, sonst landet man bei einem anderen Bernd Scholl. Der hat zwar auch schon in Planetarien gespielt und macht auch sehr schöne Musik, aber eben andere...
Dem Motto entsprechend, wird die heutige Playlist viele Tracks aus älteren Moonbooter-CDs enthalten, aber auch einige aus dem neuen Album "Reminiscence", das viele von uns gerade draußen am CD-Stand von Mellowjet Records erworben haben. Das gibt Bernd genügend Auswahl, um über die knappe Stunde, die der erste Teil dauert, einen Spannungsbogen aufzubauen. Der Einsteiger-Track "Schweben" ist beinahe ambient, und dazu passend beschränken sich die Projektionen auf den Sternenhimmel und Sternbilder - und das kommt wirklich alles nur aus dieser kleinen Kugel in der Mitte des Saals. Nach und nach dreht Bernd das Tempo auf, und passend dazu nimmt auch das Tempo der Projektionen zu. Die "Berliner Schule" ist noch nie sein Ding gewesen, seine musikalischen Wurzeln stecken eher im Synth-Pop der frühen 80er-Jahre. Und unabhängig vom Tempo der Tracks, sie enthalten immer die Wärme und Emotionalität, die seine Interpretation elektronischer Musik für mich auszeichnet.
Der Streifzug durch die Jahre, der für den Moonbooter-Kenner das eine oder andere Wiedersehen und -hören gebracht hat, geht wie im Fluge herum - Bernd braucht eine Pause, und auch wir haben jetzt Zeit, etwas frische Herbst-Luft zu schnappen oder uns eine kleine Erfrischung zu gönnen. Das Cafe des LWL-Museums hat noch nicht wieder geöffnet, aber wer doch ein Getränk aus dem Kühlschrank haben möchte, dem wird vom Personal gerne geholfen. Was übrigens den Zuspruch angeht: Das Planetarium ist an diesem Abend gut zur Hälfte gefüllt, was man für so eine Veranstaltung als Erfolg und gelungenes Comeback verbuchen kann. In Zeiten, wo viele nicht wissen, wie hoch nie nächste Gasrechnung ausfallen wird, wird ja gerne auch an der Kultur gespart, die in den letzten drei Jahren ohnehin schon zu kämpfen hatte.
Auch wenn Bernd es nicht explizit anspricht: Der erste Titel des zweiten Teils, der auch Opener seines neuen Albums ist, hört sich wie eine persönliche Abrechnung mit dieser Zeit an. Die ersten Takte von "Me in the Mirror" deuten einen chilligen Song an, aber stattdessen folgt ein Klavier-Solo, in dem Bernd sich förmlich den Frust über die vergangenen Jahre von der Seele hämmert - ein echter Gänsehaut-Titel, der aber seine "reinigende Wirkung" nicht verfehlt: Jetzt spielt der Moonbooter wie entfesselt auf, als wäre eine Last von ihm abgefallen. Ein rasanter und druckvoller Titel reiht sich an den nächsten, und passend dazu fliegen wir jetzt mit vollem Tempo durch Galaxien, Sternen-Nebel und an schwarzen Löchern vorbei. Es ist wie ein Rausch, nur einer ohne böses Erwachen, sondern einer, der uns und Bernd zufrieden, erleichtert und glücklich zurück lässt - man schaue sich einfach nur einmal seine Miene an, als er den Applaus und die Bitten um eine Zugabe entgegen nimmt!
Eine Zugabe ist natürlich drin ("Bevor ich mich schlagen lasse..."), und so drehen wir bei zwei weiteren Moonbooter-Tracks aus Vergangenheit und Gegenwart noch ein paar Extrarunden durchs Universum. Dann ist aber endgültig Schluss: Ein sichtlich durchgeschwitzter Bernd Scholl, meint, er wäre einfach "alle" und noch eine Zugabe ginge wirklich nicht mehr. Wir sind aber auch so an diesem Abend vom Moonbooter reich beschenkt worden, und ich höre im Nachgang nur Urteile wie "spitze" und "bombig".
Obendrein fahren wir mit der Aussicht mach Hause, dass Bernd im nächsten Jahr - wann genau das auch sein wird - nicht alleine auf der Bühne des LWL-Planetariums stehen wird. Jetzt steht bei ihm aber erst einmal eine Knie-OP an, die Strapazen der letzten anderthalb Jahre haben auch physisch ihren Tribut gefordert. Wir drücken ganz fest die Daumen, dass sie gut verläuft, und erleben eine letzte angenehme Überraschung, als der Parkautomat uns für die gut vier Stunden an diesem Abend eine Gebühr von Null Euro berechnet...
Lange hat es gedauert, bis Moonbooter und das Planetarium Münster wieder für ein Konzert zusammen gefunden haben. Dieses doppelte Comeback war ein voller Erfolg - sowohl für Bernd, als auch für das Team des Planetariums in Münster. Bitte in Zukunft fortsetzen, egal wie diese aussehen mag!
Alfred Arnold