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Kolumne: Bayern Hardware gegen Borussia Software

bvb.jpg - 8.26 KbSo? Sie interessieren sich gar nicht für Fussball? Das gibt es doch gar nicht, jeder interessiert sich für Fußball! Aber spätestens dann, wenn der Kolumnist in den nächsten paar Minuten mal wieder praktische Lebensansätze in die heimische Musikwelt portieren möchte. Denn neben den beiden Ausnahmevereinigungen von teuer erkaufter Bajovarischer Spitzenmannschaft und Schwarz Gelbem Kinder-Dauer-Renn-Rudel, so scheint es auch in der musikmachenden Welt zwei konkurierende Religionen zu geben, die immer wieder um die Weltherrschaft der Musikproduktionen streiten.

Hardware gegen Software!

Auf der einen Seite, eine sündhaft teure Menge externer stromgeladener Workstations, Modularsysteme und kiloschwere Analog-Schiffe, amperpumpend und in megawatt-stöhnend, posend übereinandergestapelt, arrogant klingend und mit unendlichen Potis, Fadern und LEDs bestückt, um auf den Championsligen der europäischen Bühnen mit ihrer Routine zu überzeugen. Auf der anderen Seite, der auf Effektivität ausgelegte Jugendwahn, mit softwaregestützter Prozessorberechnungen virtueller Tools, die kostenreduziert und progressiv, um nur mit kleiner Tastatur und Monitor, nahezu alles und jeden zu simulieren oder noch besser zu klingen als das Orginal.


Allein nur die gedankliche Annäherung an den Verlust einer möglichen Vormachtstellung, scheint eine unsichtbare und große Anzahl an Glaubens-Jünger zu treffen, die schon sogleich in kriegsähnliche Meinungsverschiedenheiten ausartet, ohne dass überhaupt ein Wort geäußert wurden. Hardwareanhänger würden wohl "Koranähnliche Tonerzeuger" verschenken, wenn sie damit die ungläubigen Hardwareverweigerer überzeugen könnten. Laptopuser lästern hingegen über die Logistikmarathons, die Hardwarenutzer regelmässig planen und umsetzen müssen, um selbst für kleinste Events eine brauchbare Anzahl an Tonerzeuger herbeizuführen.

Da steht sie nun, die Robbery-Synthese, der Gomez-Kamm-Filter und der kleine Lahmspeicher gegen das Kollektiv von Ameisengleicher Selbstlosigkeit, in der 22 verkloppte Beinchen eines Quad-Cores nur auf die auszuführende Befehle warten, um zum siegen auszuschwärmen. Aber welches System ist denn nun das bessere? Ist es also die Vermengung von jeder Menge Kohle in hochgetapelte externer Hardware oder ist es doch das preiswerte und selbstlose Optionsrecht, sogar beinahe mit Null-Euro Software sich seine Instrumente selbst zu designen?

Nun, es ist wie bei MAC und PC, wie bei Satelliten- und Kabel-TV oder bei Pepsi oder Coke. Sie entscheiden!

Wer seine haptische Ansprüche nur mit externen Kram befriedigt weiss, wird auch zukünftig die Riesenkisten von Roland, Yamaha und Co. kaufen. Wer sehen will, wo die Kohle hingegangen ist, macht auch Fotos seiner Synths im Dunklen und nennt sein Studio dann NCC 17-irgendwas, weil doch alles irgendwie nach Warp-Antrieb aussieht. Beamen inklusive.

Natürlich macht dies viel mehr Spass, als mit einer kleinen Maus seine VST-Plugins über das 1600x900 große Spielfeld zu schieben. Klar, man muss nicht erst den Rechner booten, um mal ein Klaviermuster auszuprobieren oder eine Idee festzuhalten und es sieht auch einfach viel spektakulärer aus. Wenn dann auch noch die neue Angebetete das erste Mal die ganze Hardware sieht, gibt es pauschal schon mal eine Art "Bolen-Bonus" und sie postet überall, dass sie wirklich einen richtigen "Rocker" kennt.  Dagegen wird der schnöde Netbook-User kaum Eindruck schinden können, wenn die dreihundertsiebenundvierzig Tasks nur ungläubiges Lächeln und ein bisschen Mitleid beim ersten Date hervorrufen wird. Allerdings bietet die zweite Chance, gleich im Schlafzimmer mal schnell einen Liebesloop zu programmieren, einige Beziehung-Stiftende Optionen. Da sind die 88 Hammermechanik-Tasten der 5000 Euro Workstation doch etwas unhandlich und stimmungstötend, während Mann bzw. Frau sich lasziv auf der Seide rekelt. 

Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass es auch von Nöten ist eine Ahnung davon zu haben, was am Ende raus kommen muss. Es soll ja immer noch C-Liga- Musiker geben, die in die beste Hardware investiert haben und dennoch auf den musikalischen Ascheplätzen hängen geblieben sind. Zumeist scheint die Erkenntnis des zielorientierten Fußballs (noch) zu fehlen oder die Meinung zu kursieren, dass Geld allein die Tore schießen wird. Weit gefehlt, denn wer nicht trainiert, übt und lernt kann sich ganze Synthiburgen oder stapelweise VST-Festplatten zulegen. Es nutzt nix, C-Liga bleibt C-Liga.

Also erstmal einen Ball kaufen, 15 Euro Fussballtreter besorgen und raus aufem Bolzplatz. Irgendwann kommt der Aufstieg von ganz allein.

Stefan Erbe

 

 


Über Empulsiv

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