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Kolumne: An einem Tag im Park

"Klaaaaus,....Edgaaaaar, packt eure Sachen zusammen, wir gehen nach Hause"! Ich gestehe, ich war doch ziemlich verdutzt. Wer nennt denn seine Kinder heute noch Klaus und Edgar? Die dunkelhaarige Mittvierzigerin winkte ihren beiden Kindern heftig zu und wiederholte ihren Aufruf nochmal deutlich, aber dieses mal um eine ganze Oktave erhöht. "Klaaaaus...Edgaaaaar....jeeeetzt!"

Wenn jetzt noch ein weiteres Kind hinter einem Baum hervolugte was auf den Namen "Jean-Michel" hören würde, könnte man treffsicher den musikalischen Geschmack der Eltern ableiten. Ich verweilte einen Moment um sicherzustellen, dass ich diesen Wunschgedanken ja nicht verpassen würde, wenn sie nach einem weiteren "Balg" mit französischen Namen rufen sollte und schaute unentwegt über die große Wiese, auf denen unzählige Kinder herumrannten, spielten und tobten. Die beiden auserwählten Kinder schälten sich aus einem Wust an Armen und Beinen, die zu einem Pulk von Heranwachsender gehörten, welche auf einem Klettergerüst jeden freien Zentimeter verrosteten Metalls umschlangen und Sinnfrei über das Hindernis herumkletterten.

Wieder schossen beide Namen über den Spielplatz und ich analysierte die Quelle des Aufrufes nochmal genauer. Hielt sie vielleicht noch ein weiteres Kind an der Hand? Stand vielleicht noch ein Kinderwagen in der Nähe, indem noch ein weiterer Textilvernichter verweilte, der meiner Namensvorstellung entsprach? Vielleicht wenigstens ein Hund, der gerade noch eine Sandschaufel zerlegte oder einem Hasen hinterherjagte? Wenigstens ein tierischer Jean-Michel vielleicht oder ein Kitaro oder ein Gandalf? Nichts davon!

Meine imaginäre EM-Familie zerbrach scheinbar in einem Nichts von Zufälligkeiten und ich wollte mich gerade schon abwenden, da gesellte sich der vermeindliche männliche Erziehungsberechtigte hinzu. Auch er intonierte die Namen seines Nachwuchses und drohte damit, selbst auf das Gerüst zu klettern, um die beiden vom selbigen herunterzuholen.  Die beiden schienen nicht im Traum daran zu denken, von dem Eisengebilde abzulassen und schlugen im Gleichklang mit ihren Spielzeugen auf die Schweissnähte des mindestens 30 Jahre Alten Bauwerkes ein. Erste rötliche Falten im Halsbereich des Vaters ließen vermuten, dass es wohl nicht  das erste mal sein musste, dass die Kids die Gefolgschaft verweigerten und auf Papas Stirn erzeugte das rosa Leuchten einen interessanten Kontrast zum eher grünen Umfeld des weiten Runds.

"Prima, da ist eine Parkbank", dachte ich und setzte mich. Jetzt noch eine Waffeltüte mit Kirschen, Vanille und Schokolade und man hätte Eintritt nehmen können.

Erste Sanktionen wurden formuliert. "Es gibt keine Paula heute nach dem Essen" drohte sie, ehe er einfügte, dass es möglicherweise auch keine Playstation, WII oder X-Box mehr geben wird. Mir erschien die kausale Eskalationsstufe von fleckenbehafteten Puddings und stromgeladener Spielekonsolen nicht stimmig und erste Gaffer gesellten sich nun aus dem umliegenden Umfeld hinzu um abwartend zu schauen, ob es den beiden Eltern gelingen würden ihre Zöglinge zu überzeugen.
Ich bemerkte zunächst nicht, dass zwei weitere Personen sich auf die Bank neben mich gesetzt hatten und eine von Ihnen, eine ältere Dame, gleichwohl nickend und leicht lächelnd ebenso interessiert das Geschehen verfolgte. Die andere Person war ein Junge, vielleicht 13 -14 Jahre alt, mit BMX-Fahrrad und Helm. Er saß auf der Rückenlehne der Bank, stellte seine Schuhe auf die dreistreifige Sitzfläche und grinste ebenfalls ins weite Rund.
Während die Mutter nun alle Hoffnungen auf ihren Gatten projizierte und sie mit den Worten "Helmut bitte setzt Dich doch mal durch" eher die Aufmerksamkeit weiterer Schaulustiger motivierte, wurde er immer ruhiger und man konnte förmlich das Knistern seiner spannungsgeladener nachdenkender Nervenbahnen erahnen. Was würde er sagen? Welcher Boykott könnte die Kinder bewegen, den Klumpen Altmetall zu verlassen und die heimische Reise antreten zu lassen? Wäre es ein möglicher Liebesentzug? Mehrwöchiger Stubenarrest? Fernsehverbot vielleicht? Essbarer Nachtisch und Spielekonsolen schienen den Kindern wohl nicht wichtig zu sein! Bevor ein finaler Gedanke seinen Mund verlassen konnte, schlug eine außenstehende Person vor, die Androhung von Gewalt in die Planung einzubeziehen und argumentierte, dass ein Klaps noch nie seine Wirkung verfehlt hätte. Während die Frau den Vorschlag kategorisch abzulehnen schien, wägte er wohl noch innerlich ab. Nur so konnte man seinen Mix aus vertieften Zornesfalten und geballter Faust interpretieren. "Man muss ihnen einfach nur gut zureden", schlug eine weitere Frau vor, die mit ihrem eigenen Kind am nun gut besuchten Schauspiel vorbeistiefelte, ohne selbst darauf zu achten, dass sie ihr eigenes Fleisch und Blut eher hinter sich herzog und es weniger an ihrer Hand mit lief. In dem Bewusstsein, dass der halbe Park mittlerweile das Ereignis verfolgte, schritt der Vater nun endgültig Richtung Klettergebilde um eines der Beine seines Sohnes Klaus zu erhaschen. Dieser machte sich aber einen Spaß daraus und bestieg zielsicher und kichernd höhere Gefilde des Spielgerätes. Fluchend und errötend auf "Reserve anzeigend", verließ er das Umfeld des "Ferromanischen Gestells" und fauchte seine Frau an, dass es alles ihre Schuld wäre und sie zuviel durchgehen lassen würde. Sie erwiderte zielgerecht und wirkungsvoll, dass er ja nie zuhause wäre und er keine Ahnung von der Erziehung hätte.
Damit begann dann das eigentlich wirkliche Schauspiel. Meine Bankgenossen und ich schätzten um die Wette, wie viele Leute sich mittlerweile um die beiden brüllenden Streithähne versammelt hatten. 30-40 tippte der Junge und die ältere Dame neben mir erhöhte wohlwollend auf 45-50. Ich hatte mich derweil auf die beiden Kinder konzentriert, die nach einigen Minuten des gegenseitigen Anbrüllens ihrer Eltern das Klettergerüst verlassen hatten und zielgerichtet auf die beiden zugingen.

Peinlich über das Verhalten seines Erziehungsberechtigten berührt, schnauzte der kleine Edgar seinen Vater an und  vermittelte den eindeutigen Eindruck nun Herr der Lage zu sein. Seine Aussage warf Fragen auf. "Wieso kann man nicht einmal im Park spielen gehen, ohne dass sich Mama und Papa streiten"? Die atemlose Stille der folgenden Minuten und die fragenden Gesichter alle Anwesenden lies langsam die Menschentraube auflösen und die Verwunderung über die Situation wich dem Geräusch von Vogelgezwitscher, Umgebungsgeräuschen und spielenden Kindern im Park. Klaus und Edgar hatten ihre Spielsachen eingesammelt. Und ihre Eltern auch!


Stefan Erbe

Über Empulsiv

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