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Der Kreis schließt sich - Der E-Day 2024 im CKE Eindhoven

Ron Boots gelingt es immer wieder zwei Mal im Jahr, die EM-Szene zu einem großen Konzert-Event zu versammeln. Traditionell galt der E-Day im Frühjahr davon als das etwas 'kleinere', was Besucher und Acts angeht. In den letzten Jahren hat er sich seinem Herbst-Pendant aber immer weiter angeglichen, so dass er heutzutage gleichberechtigt neben E-Live im Herbst steht. Dass dem so ist, mag man schon daran ermessen, dass der E-Day 2024 bereits ein paar Wochen vorher ausverkauft war, und das ohne einen 'ganz großen Namen' wie Johannes Schmoelling, dessen Auftritt im vergangenen Herbst einen Run auf die Karten für E-Live 2023 ausgelöst hatte.

E-Day 2024 CKE Eindhoven

Das ist natürlich eine schöne Sache für Ron und sein Label, auch wenn er immer so kalkuliert, dass er auch mit einem nicht ganz ausverkauften Saal kein Minus macht. Aber auch das Lineup für diesen E-Day ist nicht zu verachten: Perge, Gert Emmens, und Sequentia Legenda sind allesamt Künstler, die nicht oft live zu sehen ist, und für Matzumi wird das heutige Konzert gar das erste seit einem guten Jahrzehnt sein.

Last but not least wird der Live-Auftritt auf der 'kleinen Bühne' für Christian 'Kellerkind Berlin' gerade mal sein zweiter sein. Und eben jener läuft bereits, als wir gegen ein Uhr das Foyer des CKE betreten. Wie jedes Mal, hatten wir uns vorgenommen, dafür rechtzeitig loszufahren, und wieder einmal kommt etwas dazwischen - dieses Mal eine Autobahn-Sperrung mitsamt Umleitung bei Heerlen.  Der Rest vom letzten Track, den wir noch hören können, macht Appetit auf den zweiten Auftritt in der großen Pause. Deshalb gibt es auch keinen Grund, sich gleich zu Beginn des Tages darüber zu grämen.

Also geht der nächste Weg zur Anmeldung, auf dem Weg viele guten Bekannte begrüßend, die man zwar auch anderswo, aber in dieser Summe nur hier trifft. Nachdem der eigene Name auf der Liste gefunden und abgehakt wurde, erhalten wir das Bändchen des Tages um den Arm gelegt. Gleich bei der Gelegenheit empfiehlt es sich, ein paar Bons für Speisen und Getränke zu erwerben. Der Verzehr von Mitgebrachtem im Foyer ist natürlich auch gestattet, aber wieso sollte man den begrenzten Raum im Rucksack damit füllen?  Dort soll doch hinein, was man an CDs und sonstigen Tonträgern heute erwerben wird.

Das größte Angebot in dieser Hinsicht bietet natürlich der Stand von Rons Groove-Label selber. Gerade mit Veröffentlichungen auf dem eigenen Label war er in den letzten Monaten extrem fleißig.  Hier macht sich bemerkbar, dass Ron sich inzwischen zu 100 Prozent auf sein Label konzentrieren kann. Mit mir im speziellen macht er aber heute nicht viel Umsatz: Da ich bei Neuerscheinungen grundsätzlich neugierig bin, hatte ich sie bereits vorher digital auf Bandcamp erworben. Ich weiß natürlich nicht, wie das bei Euch aussieht, aber bei mir verschiebt sich der Erwerb mittlerweile deutlich in Richtung Downloads. Ausnahmen werden natürlich gerne gemacht, wie z.B. bei Alben auf Vinyl oder mit besonders viel Liebe gestalteten Sonder-Editionen, wie Matzumis neues Album 'Monumentum' in der großen Fan-Box (letztes Exemplar ergattert!).

An dieser Stelle möchte ich übrigens einmal ein großes 'Danke' an die Musiker richten, die darauf bestehen, mir ein Exemplar ihres Album ohne Bezahlung zu überlassen - auch wenn ich es häufig nicht schaffe, meine Gedanken dazu in Form einer Rezension aufzuschreiben, jedes Album bekommt bei mir mindestens drei "Hör-Runden" und ich weiß die Form der Anerkennung sehr zu schätzen!

Hatte ich erwähnt, dass wir spät dran sind? Die sich vor der Tür bildende Traube gemahnt, den Rundgang an die restlichen CD-Ständen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, und sich für einen Platz in der ersten Reihe anzustellen. Mit jetzt 200 statt 70 Millimeter Brennweite bin ich zwar nicht mehr ganz so eingeschränkt, aber ein Platz ganz vorne gestattet es, auch einmal für eine Aufnahme aus anderer Perspektive aufzustehen.

Nach dem Einlass ist der erste Blick einfach nur beeindruckend.  Nie vorher habe ich die Bühne des CKE derartig voll gesehen. In zwei Reihen stehen Keyboard-Burgen und Drumsets der vier geplanten Acts. Eine DAW und ein Notebook, auf den man die ganze Komposition heutzutage durchführen kann, sind ja eine sehr praktische Sache, aber auf der Bühne kann das schon einmal so wirken, als würde da gar nicht wirklich live gespielt - dieser Eindruck wird heute bestimmt nicht entstehen.

Ron entschuldigt sich in seiner Begrüßung - wie immer mehrsprachig, es sind ja wieder viele Gäste aus den umliegenden Ländern angereist - für eventuelle Schwierigkeiten, zum CKE zu kommen. Um die Ecke wird gerade eine der Hauptstraßen umgebaut und ist komplett gesperrt. Aber das hält einen echten EM-Fan natürlich nicht davon ab, den Weg ins CKE zu finden, und als Aachener ist man in dieser Hinsicht ohnehin ganz andere Dinge gewöhnt...

Wenden wir uns also gleich dem ersten Act zu, und Matthew Stringer von der anderen Seite des Kanals angereist ist, dürfte ein Strassensperrung in Eindhoven vergleichsweise auch das kleinste Problem gewesen sein. Seit 2018 betreibt er das Projekt 'Perge' alleine weiter und versucht damit, den warmen, melodisch/rockigen Sound, wie ihn Tangerine Dream in der ersten Hälfte der 80er-Jahre gemacht hat, wieder aufleben zu lassen.  Die Liebe zu dieser Schaffens-Phase des Berliner Trios ging so weit, dass einige Alben-Cover recht deutlich an TD-Alben aus dieser Zeit erinnern. Perges Musik war aber immer eigenständig und hat die Elemente nur für eigene Titel genutzt, anstatt zu covern.

Zum Einstieg bleibt die Bühne in ein dunkles Blau getaucht, und Matthew beginnt dazu passend mit gebremstem Tempo. Weite Flächen und eine getragene Melodie lassen geben uns Zeit, in den Tunnel zu kommen. Nach ein paar Minuten ist dann genug Spannung aufgebaut: Das Licht auf der Bühne wird heller, eine rote Sonne ist hinter Matthew aufgegangen. Ein Rhythmus gestellt sich zu den Klängen, die sich spürbar von ihrem 80er-Jahre Vorbild lösen - so wie Matthew seinen Sound in den letzten Jahren weiter entwickelt hat. Schöne Läufe reißen uns aus der anfänglichen Träumerei heraus, und gerade als man meinen könnte, er hätte alles hinter sich gelassen, baut Matthew geschickt ein paar sofort wieder erkennbare Sounds aus der Schmoelling-Ära ein.

 Dieses Wechselspiel im Tempo und Stil, zwischen Rhythmus und Flächen, setzt sich in den folgenden Tracks fort, und regelmäßig wechselt die Sonnenscheibe hinter Matthew ihre Farbe: mal eher rot, mal eher gelblich. Sie zeigt sich gerade in einem satten Rot-Orange, als Matthew uns ins Jahr 1982 zurück beamt: Das klingt wie 'Logos', aber in seine Elemente zerlegt und neu gedacht. So frisch und energetisch, wie das daher kommt, könnte man meinen, das wäre das Finale - doch Matthew hat noch nicht alles gespielt.  Quasi um ein wenig wieder auf den Boden zurück zu kommen, kreiert er im letzten Track die melancholische Stimmung eines regnerischen Tages. Das ist schon mehr Vangelis als TD, mein Kopfkino zeigt mir Szenen aus 'Blade Runner'. Dass Vangelis und TD durchaus zusammen gehen, beweist Matthew, indem er aus dieser Stimmung heraus noch einmal eine Sequenz wachsen lässt.

Und das war dann wirklich das erste Konzert des heutigen Tages - waren das wirklich nur 45 Minuten? Ich habe darin jedenfalls komplett das Zeitgefühl verloren. Das darf Ron nicht passieren, denn er ist Teil des nächsten Acts. Auf seinen Auftritt muss er sich noch ein wenig vorbereiten, und er bittet darum, den Saal zu verlassen - in 25 Minuten sehen wir uns wieder.

Die 25 Minuten reichen gerade aus, um das bis hierhin aufgeschobene Mittagessen nachzuholen. An der Bar hat man Auswahl zwischen Brötchen, Suppe und leckeren Kuchen. Für letztere ist der Nachmittag noch nicht ganz vorgerückt genug, also fällt die Wahl auf eine Tomatensuppe. Die ist heiß, reichlich und inhaltsreich, und der letzte Rest ist gerade so ausgelöffelt, als sich vor dem Eingang zum Saal wieder die Traube zu bilden beginnt. Schon während der Pause waren Töne von Rons Soundcheck bis ins Foyer gedrungen und haben neugierig gemacht.

Nun gehört es zu Rons Prinzipien, sich nicht selber anzusagen. Auf vergangenen Events hat das schon einmal gerne Stephan Whitlan übernommen, der auch heute wieder angereist ist, um hinter den Kulissen mitzuhelfen, dass alles wie am Schnürchen läuft.  Aber auch das passiert nicht, die drei Akteure kommen einfach auf die Bühne, lassen Raum für einen kurzen Applaus und legen dann los.  Neben Ron sind das noch Gert Emmens und Harold van der Heijden, und in dieser Besetzung ist auch das gerade frisch erschienene Album 'Lost in Depths of Desolation' aufgenommen worden. Es gehört zu denen, die ich schon vor dem E-Day digital erworben hatte, und so wusste ich, was wir in der kommenden Stunde erwarten dürfen. Und um es vorweg zu nehmen: Nicht nur meine Erwartungen sind mehr als erfüllt worden.

Gleich im Einsteiger und Titel-Track mischt sich auf scheinbar selbstverständliche Weise all das, was diese drei Meister auszeichnet: Rons Fähigkeit, mit seinen Sequenzen und Sounds filmische und emotionale Klangräume zu erschaffen, Gerds improvisierte Melodien, die jedem Song einen jazzigen und progressiv-rockigen Touch geben, und dazu Harold, der mit seinen Drums als Motor der ganzen Sache fungiert.  Und sie geben sich auch nicht mit langem Vorgeplänkel ab: Bei so viel Drive, Spielfreude und Energie fällt es den Füßen schwer, nicht mitzugehen. Und man hat mit jedem Takt den Eindruck, dass die drei sich gegenseitig weiter hochschaukeln und zu mehr anstiften. So selbstverständlich, wie das hier passiert, fällt es schwer zu glauben, dass dies vier Monate im Studio gebraucht haben soll. Aber es sind wohl gerade die Dinge am schwierigsten, die danach so selbstverständlich erscheinen...

Weder Musiker noch Publikum können ein komplettes Konzert nur so mit 'Volldampf' mitgehen, und so wird es nach dem wohlverdienten Applaus erst einmal wieder ruhiger und gemächlicher.  Das öffnet Gert mehr Raum für seine Impros, den er gerne ausfüllt. Diese entspannte Stimmung trägt bis in den Folgetitel, der aber schon den Keim für einen Stimmungswechsel in sich trägt. Was sich hier über eine Viertelstunde entwickelt, ist ein musikalischer Aufbruch, dazu geeignet, (fast) jede trübe Stimmung hinwegzufegen - wenn das kein Spannungsbogen ist! Auch Gert, den man ansonsten eher gelassen und konzentriert auf der Bühne kennt, wird sichtbar von der Stimmung mitgerissen.

Das Wechselbad der Stimmungen geht weiter: Leicht schräge Sounds erzeugen eine besondere Atmosphäre, bis das Trio wieder zum musikalischen Feuerwerk vom Anfang zurückkehrt.  In den Applaus hinein platziert Ron die obligatorische Vorstellungsrunde, dann wird es zum Finale noch einmal prog-rockig.  Ist die Zeit wirklich so im Flug vergangen? Das kann schon einmal passieren, wenn drei Könner ihres Fachs sich in Hochform präsentieren.  Nicht wenige, mit denen ich in den folgenden Pausen spreche, werden dieses zweite Konzert als den Höhepunkt des Tages einordnen.

Auch nach einem solchen Höhepunkt muss man irgendwie wieder auf 'Normaltemperatur' wieder zurück finden, und dazu ist die folgende große Pause gut geeignet. Das Foyer des CKE leert sich und der Geräuschpegel nimmt spürbar ab, weil viele sie als Gelegenheit zu einem 'richtigen Abendessen' in einem der umliegenden Restaurants nutzen.  Wir bleiben hier, denn jetzt geht Christian Gorsky zum zweiten Mal auf die kleine Bühne.  Sein gerade frisch erschienenes neues Album hört auf den Namen 'Das Graublaue Album'. Das sind beides Farben, die nicht unbedingt für fröhliche Stimmung stehen, und wie Christian im Begleittext schreibt, war der Entstehungszeitraum dieser Musik eher durch nicht so schöne Ereignisse im Leben geprägt. Um die Sache ins Positive zu drehen: Er ist jetzt hier, und es ist das schöne am Musiker-Dasein, dass man auch solche Phasen in der Musik verarbeiten kann. Der erste Track kommt  dementsprechend ruhig und melancholisch daher, getragen von Sequenzen. Den Künstlernamen 'Kellerkind Berlin' hat Christian ja nicht ohne Grund gewählt, auch wenn er nie reinrassig auf dem Pfad der gleichnamigen Schule gewandelt ist. Schon im zweiten Titel zeigt das Stimmungsbarometer eindeutig nach oben, auch ein kurzer Aussetzer der Technik kann daran nichts ändern. Das ist das, was uns alle hier im CKE eint: Die Musik begleitet uns, und richtet uns wieder auf, gleich ob wir sie nur konsumieren oder selber machen. Ich bin sicher, auch Christian wird von diesem Tag ganz viel positive Energie  mitnehmen, die Unbilden des Alltags zu meistern.

Lang ist die Pause, lang genug, um auch noch die restlichen CD-Stände abzugehen. An Labels präsentieren sich hier noch Lambert mit Spheric Music sowie Remy mit Deserted Island Music.  Auf Remys Label ist mit 'BYSS' gerade der Mitschnitt des Konzerts erschienen, das in Bas' gleichnamigem Studio zu Corona-Zeiten entstand. Corona - war da mal etwas? Diese Zeit der Leere ohne Live-Konzerte erscheint inzwischen so unendlich weit weg.

Auch David Wright hat es mit AD-Music über den Kanal geschafft und hat sein neues Solo-Album 'Fade' im Angebot.  Offiziell noch gar nicht erschienen, aber hier zu haben: Das neue Callisto-Album, dieses Mal zusammen mit Stephan Whitlan produziert. Nicht unerwähnt bleiben sollten auch die diversen Musiker, die quasi als 'Einzelkämpfer' ihre Werke präsentieren, zum Beispiel Rob Papen, der auch ein paar 'Peru-Schätzchen' ausgelegt hat. Die Brüder Arjan und Eelco van Elst präsentieren 'One' und 'Two', und wer gleich beide kauft, erhält als Bonus noch eine dritte CD dazu. Und was mich persönlich besonders gefreut hat: Ralf Gülpen, der als 'TiRa' firmiert und quasi 'um die Ecke' in Kerkrade wohnt, hat auch einen eigenen kleinen Stand.

Man darf aber auch die Uhr nicht aus dem Blick verlieren, denn der mittlerweile wieder deutlich angestiegene Lautstärkepegel verrät, dass die große Pause ihrem Ende zugeht, und man sich einen guten Platz in der Warteschlange sichern sollte. Und wenn ich mir bei einem Konzert nicht vergeben könnte, keinen guten Platz für Fotos zu haben, dann bei dem nächsten...

...Platz in der ersten Reihe gesichert und wir warten hoffnungsvoll auf den ersten Live-Auftritt von Matzumi seit mehr als zehn Jahren. Ron hat vorher aber noch ein oder zwei Neuigkeiten: Man erinnere sich an das Hin und Her um 'De Enck' in Oirschot vor ein paar Jahren, und dass es irgendwann doch ganz seine Pforten schließen musste. Die gute Nachricht: Es ist nicht zu etwas anderem umgebaut worden, sondern hat wieder als Theater- und Konzertsaal mit neuem Betreiber eröffnet. Der neue Name: 'De Stoelendans', Ort und Größe bleiben aber gleich. Ron hat zu dem neuen Betreiber in den letzten Monaten bereits Kontakte geknüpft und als 'Premiere' werden im September Schmoelling, Ader und Waters dort spielen. Einen Monat später wird dort E-Live 2024 steigen. Dieser E-Day wird also der letzte im CKE sein.  Einige werden der guten Verkehrsanbindung in Eindhoven hinterher trauern, aber andererseits: der Saal in Oirschot ist um knapp 100 Plätze größer. Angesichts der letzten beiden ausverkauften Events ist das eine gute Nachricht für diejenigen, die bei der Jagd auf Tickets leer ausgegangen sind.

Nun aber wirklich zum ersten Act des Abends, und zu einem weiteren Kreis, der sich schließt: Vor 13 Jahren hatte Kathrin Manz zum ersten Mal ihr Projekt 'Matzumi' bei E-Live präsentiert.  Darauf folgten für sie diverse bewegte Jahre, inklusive eines Umzugs in die Schweiz, in denen es aus der Sicht ihrer Fans eher still um sie wurde. Seit drei oder vier Jahren legt sie aber wieder richtig los und berichtet regelmäßig aus ihrem Studio. Dass es so lange mit dem neuen Album 'Monumentum' gedauert hat, ist auch dem Anspruch geschuldet, den sie sowohl an ihre Musik als auch die Aufmachung des Albums stellt. Gerade so eben vor der Abfahrt konnte sie die fertig produzierten CDs abholen, und eine Panne auf dem Weg nach Eindhoven hätte diesen heutigen Auftritt beinahe verhindert. Dass er stattfindet, ist nur Ron zu verdanken, der ihr 'bei Nacht und Nebel' zu Hilfe kam und den restlichen Transport organisierte.

So passt der Untertitel des neues Albums denn auch zum eigenen Lebensweg: 'De Tenebris in Lucem', 'Durch die Dunkelheit ins Licht', wenn mich mein eingerostetes Schul-Latein nicht trügt.  Die Bühne ist zu Beginn leer und dunkel, einzig eine Kerze flackert an der Wand. Dann kommt Matzumi auf die Bühne, gemessenen Schrittes, ein Licht in der Hand, und traumhaft schön gewandet. Vor vielen Jahren ist ihr in einem Interview einmal der Titel 'Die Hohepriesterin des Synthesizers' verliehen worden, und dem wird sie an diesem Abend mehr denn je gerecht: Das ist kein einfaches Konzert mehr, das ist ein EM-Hochamt. Ihren orchestralen, emotionalen, stellenweise bombastischen, aber nie ins kitschige abrutschenden Stil hat sie über die Jahre verfeinert und perfektioniert.

Es hätte in diesem Fall keinen Sinn, die einzelnen Titel von Album und Auftritt zu beschreiben, denn die bilden eine durchgehende Geschichte, die von der Dunkelheit ins Licht führt, mit Stationen wie Einsamkeit, Erinnerung, Erlösung und schlussendlich dem Sieg.  Mal wird es wuchtiger, dann wieder stiller, und gerade in den leisen Passagen wirken ihre Vokalparts besonders berührend. Man hat gerade an diesen Stellen den Eindruck, dass sie mit ihrer Musik all das verarbeitet, was in den letzten Jahren an Problemen und Kummer aufgelaufen ist. An Kraft und Eindringlichkeit hat ihre Stimme in den Jahren nichts eingebüßt.

So wie 'Monumentum' mit dem Prolog begann, so endet es mit dem Epilog - keine Zugabe, das Werk ist vollständig. Ein bescheidenes 'Das wars schon' kommt von Kathrin, zusammen mit dem Dank an die Menschen, die diesen Auftritt möglich gemacht und sie all die Jahre begleitet haben. Gebannt begleitet habe jedenfalls ich diese vergangene Stunde, und musste mich immer wieder ein wenig dazu zwingen, auch den dokumentarischen Pflichten gerecht zu werden. Ob jeder im Saal so gebannt war, das weiß ich nicht, denn diese elektronische Musik reicht weit in den Bereich der New Age und Neoklassik hinein - dem eingefleischten Fan der Berliner Schule wird das nicht unbedingt schmecken.  Aber an einem solchen Tag muss nicht allen alles gefallen. Ron Boots hat immer ein gutes Händchen bewiesen, die 'richtige Mischung' zu finden, und es gebührt ihm Lob dafür, auch solchen KünsterInnen Raum zu gewähren, und für die Fans ein Erlebnis der unvergesslichen Art möglich zu machen.

Wir liegen noch im Zeitplan, und der hat nach dem dritten Konzert noch einmal eine kleine Pause vorgesehen. Was gibt es für die noch übrig gebliebenen Bons? Das letzte Stück Kuchen ist lange verputzt, aber belegte Brötchen wären noch zu haben. Eines davon passt noch hinein, bis sich wieder die schon mehrfach erwähnte Traube vor dem Eingang bildet. Denn wem Matzumi etwas zu weit abseits der Pfade der 'klassischen EM' wandelt, der darf sich jetzt auf einen Leckerbissen der Berliner Art freuen: Bereits vor ein paar Jahren war Ron mit Laurent Schieber in Kontakt gewesen, der als 'Sequentia Legenda' mit aller Kraft und Freude die klassische elektronische Musik zelebriert, wie sie von Klaus Schulze und Tangerine Dream in den 70ern geformt wurde. Da war dann aber ein Virus dazwischen gekommen, dessen Name nicht mehr erwähnt werden soll, und es hat bis zum heutigen Abend gedauert, bis es gepasst hat. Seit einigen Jahren spielt Laurent nun mit Tommy Betzler, der in den 80ern mit Klaus Schulze zusammengearbeitet hat. Wenn also zum Abschluss des heutigen E-Day Laurent und Tommy zusammen performen, dann schwebt förmlich der Geist von Klaus Schulze darüber.

Mit zwei Gongschlägen eröffnet Tommy den ersten Titel - das ganze Konzert wird nur aus derer drei bestehen - und gibt den Takt vor.  Laurent zaubert die Flächen und Sequenzen, und Tommy formt mit seinen Drums neben den Sequenzen quasi eine weitere Rhythmus-Ebene. Man mag einwenden, bei den meisten Schulze-Klassikern wäre das Schlagzeug seinerzeit zurückhaltender eingesetzt worden. Aber zum einen entwickeln Laurent und Tommy ihre eigenen Stil, die klassische Berliner Schule fortzuschreiben, und zum anderen stellen sie sich während des ersten Titels immer besser aufeinander ein. Ein Ausfall des Tons bringt Tommy kurz aus dem Konzept, dafür klappt es danach um so besser. Im zweiten Track 'Crystal of Light' lassen sie uns ganz tief in das Universum der Sequenzen abtauchen - Anspielungen an einen ganz großen Schulze-Klassiker nicht unbeabsichtigt!  Vor dem dritten Titel greift Laurent noch kurz zum Mikrofon: 'Au revoir' ist Edgar Froese gewidmet, aber auch Klaus Schulze, und seiner Mutter - all denjenigen, die ihn auf seinem Weg begleitet haben, die nicht mehr unter uns sind, aber ohne die er nicht hier wäre. Chöre hüllen uns ein, und Tommy darf in diesem verträumteren Passagen auch einmal Pause machen.

Für wen Matzumis Konzert doch etwas zu weit von den geliebten Klassikern der EM entfernt war, der dürfte nach diesem letzten Konzert wieder zufrieden sein. Auf das Risiko, mich zu wiederholen: Auf Ron ist eben Verlass, ein Event so zusammenzustellen, das es alle Erwartungen unter einen Hut bringt und allseits in bleibender, guter Erinnerung bleibt.

Natürlich bekommt man so einen Tag nicht im Alleingang auf die Beine gestellt. Rons Dank in der Verabschiedung geht an die vielen Mitstreiter: Das Team des CKE, die Helfer vor und hinter der Bühne, die Bedienung an der Bar, natürlich die Musiker und - last but not least - das Publikum, ohne deren Zuspruch gar nichts ginge!

Gefühlt ein paar Zentimeter über dem Boden schwebend, geht der Weg zurück zum Parkhaus, dabei einen letzten Blick auf das CKE werfend, dessen Logo im Dunkel jetzt hellblau erstrahlt. Die letzten beiden Jahre war es Heimstatt für E-Day und E-Live, und es war eine gute. Es ist gerade einmal halb Elf, Rons Zeitplan hat gehalten. Und so vertraue ich auch seinen Plänen für die neue, alte Spielstätte. Wir sehen uns im Herbst, dann wieder in Oirschot!

Alfred Arnold

 

 

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.