Es sind schwierige Zeiten, will man Konzerte und Musik-Festivals auf die Beine stellen. Stark gestiegene Kosten und für kleine Veranstalter immer schwerer zu erfüllende Auflagen machen das Leben schwer, sofern man nicht gerade in der Liga der 'Profi-Veranstalter' wie Eventim & Co. spielt.
Um so höher ist es zu bewerten, wenn es da eine kleine Gruppe um einen echten und einen Wahl-Niederländer gibt, die sich vor wenigen Jahren entschieden haben, ihren Traum von einem eigenen EM-Musik-Festival Wirklichkeit werden zu lassen. Und was soll man sagen: An diesem Samstag findet das 'Dutch Electronic Masters' bereits zum dritten Mal statt.
Seit dem Vorjahr können Harald Gramberg und Gerrit Vos auf die Unterstützung von Ron Boots bauen. Er vermittelte ihnen das in seiner Heimatstadt Best gelegene t'Tejaterke als Location, und wird heute auch den Dienst am Mischpult übernehmen. Einen besseren und erfahreneren Partner, wenn es um das Ausrichten eins Festivals gibt, kann man in der EM-Szene kaum finden. Als sich zum Beispiel heraus stellte, dass das Ticket-Bestellsystem des t'Tejaterke praktisch nur mit niederländischem oder belgischem Bankkonto nutzbar ist, setzte er in Stunden-Frist eine Bestelloption auf den Seiten seines Groove-Labels auf.
Mein Ticket hatte Harald netterweise schon selber im Vorfeld reserviert. Es liegt an der Kasse bereit und wechselt gegen den runden Betrag von 20 Euronen den Besitzer. Bei dieser Gelegenheit erfahre ich von Harald auch die neuesten Nachrichten - die sind leider nicht durchgängig positiv. Der Sänger von 'La Lune Noir', einem der für heute angekündigten Acts, hat sich eine Erkältung zugezogen. Mit rauem Hals in die Tasten zu greifen, ginge ja vielleicht noch, aber Singen ist definitiv nicht mehr möglich. Was nun, so kurzfristig einen Ersatz aufzutreiben, ist schwierig bis unmöglich? Nicht ohne Grund bereiten manche Musiker solche Auftritte monatelang vor.
Einmal mehr ist es Ron, der die Sache rettet: Ein kurzer Anruf in Dinslaken und Frank Dorittke ist mit dabei, den leeren Programmplatz zu füllen. Ron und Frank arbeiten seit so vielen Jahren zusammen, so dass sie sich fast blind verstehen und kein langes Proben erforderlich ist. Und was den Titel 'Dutch Masters' angeht: In all den Jahre der Zusammenarbeit ist das Holländische ja schon ein wenig auf Frank abgefärbt...
Mit der Aussicht auf zwei Altmeister zu Beginn kann man jetzt also den Blick durchs Foyer schweifen lassen. Es ist noch Zeit bis 14 Uhr, und es hat sich schon recht ordentlich gefüllt. Sowohl Groove als auch Remys Label 'Deserted Island Music' haben grosse CD-Stände aufgebaut, die sich fast über die ganze Länge des Raumes erstrecken. Ein Eckchen mussten sie aber noch freilassen: Hier hat Nico de Kok, der als 'Small Chief' firmiert, sein Set aufgebaut. In den Pausen wird er als fünfter Act des Tages seine Musik präsentieren. Die sind mit einer knappen oder anderthalb Stunden reichlich bemessen - trotz nur vier Acts im Saal wird das 'Dutch Electronic Masters' bis in den späten Abend gehen.
Zum ersten davon ruft Gerrit uns eine knappe Viertelstunde vor Beginn in den Saal. Er übernimmt heute die Rolle des Conferenciers und erzählt vor jedem Konzert ein wenig über den bisherigen Werdegang des Auftretenden. Daraus könnte man bei Ron und Frank vermutlich einen halbstündigen Vortrag machen, andererseits - wir kennen die beiden doch so gut, dass jede Aufzählung der Verdienste nur alt Bekanntes wiederholen würde. Also belässt es Gerrit bei einem Dank für das kurzfristige Einspringen und macht die Bühne für Ron und Frank frei.
Der Einstieg kommt sehr ambient und atmosphärisch daher. Ron hat vor einigen Jahren ja schon einmal als 'Derelict Thoughts' ein waschechtes Ambient-Album vorgelegt, und diverse Passagen erinnern mich an diese Veröffentlichung. Dass in der heutigen Version auch Assoziationen zu Pink Floyd erlaubt sind, ist natürlich Franks Beitrag zum ersten Track des Tages zu verdanken.
So ambient bleibt es aber nicht. Ein Wechsel des Lichts auf ein sattes Rot kündigt einen Tempowechsel an. Jetzt dominieren die Sequenzen und entwickeln sich zu dem Boots-typischen Crescendo. Frank geht das mit, sein Spiel wird lebendiger und bildet eine schöne Ergänzung zu Rons Impros. Bisweilen übernimmt er dabei auch mal die Führung. Hier verstehen zwei Musikers sich blind und keiner drückt den anderen in irgendeiner Weise 'zur Seite'.
Abwechslung ist Trumpf: Nach dem Applaus verheist blaues Licht wieder einen Wechsel in ruhigeres Fahrwasser. Die Klänge wecken Assoziationen mit der Weite des Meeres, und Frank wird mit seinem Spiel mal wieder der Aussage gerecht, er wäre der beste Mike Oldfield - neben dem Original. Ab Strophe zwei legt Ron dann noch ein Fundament unter das ganze.
Auch auf dem Wasser regnet es mal - prasselnder Regen und ein fast komplett abgedunkelter Saal legen den Kurs für den nächsten Titel fest. Man hat eine ganze Zeit das Gefühl, da braut sich etwas zusammen, man weiß nur nicht was und wann. Gerade wenn man nicht mehr damit gerechnet hat und dank der Klangkulisse ein wenig weg geträumt ist, lässt Ron die Katze aus dem Sack: Ohne irgendeinen Übergang knallt uns 'Acoustic Shadows' um die Ohren, einer der bekanntesten Boots-Klassiker und bei passender Lautstärke dazu geeignet, den Staub auch aus der letzten Ritze herauszutreiben. Schon als 'Boots-Solo' ein erhebendes und aufmunterndes Meisterwerk, ist es mit Franks Gitarre gleich noch einmal so gut.
So einem Schlusspunkt ist auch nichts mehr hinzuzufügen, 'Acoustic Shadows' beschließt das erste Konzert des Tages. Einige der Besucher, die es nicht pünktlich nach Best geschafft haben, werden sich doppelt geärgert haben - alleine für so eine Performance machen sich viele schon auf den Weg. Heute ist es nur der Einsteiger in den Tag.
Wie schon erwähnt, die Pausen zwischen den Konzerten sind großzügig bemessen, und das Foyer des t'Tejaterke ist jetzt noch einmal ein gutes Stück voller als zu Beginn. Da hat es Nico nicht ganz leicht, sich gegen den Grund-Geräuschpegel durchzusetzen. Gerrit hatte ihn in der Abmoderation eben noch kurz vorgestellt und uns das Pausenkonzert ans Herz gelegt. Nico ist inspiriert vom Stil der 'Großen' wie Tangerine Dream und Vangelis. Das kommt hier in der Pausenatmosphäre vielleicht nicht so gut zur Geltung, aber wer meint, dass es eines Genusses in ruhigerer Atmosphäre wert ist: Kein Problem. Nico hat Tonträger dabei, nicht nur in der klassischen silbernen und runden Form, sondern auch auf USB-Stick. Die Bezahlung geht ähnlich modern und bargeldlos, falls man ein Smartphone mit QR-Code-Leser und Paypal-Account sein Eigen nennt.
Die erste Pause geht schneller herum als gedacht, und Gerrit bittet wieder in den Saal. Dieses Mal darf er einen Musiker vorstellen, den ich bisher weder live noch 'aus der Konserve' kannte. Hinter dem Projeknamen 'Tectonia' steht Ricardo Verschut, und der hatte bereits im Vorfeld auf Facebook Fotos seines Setup gepostet. An denen war unmissverständlich zu erkennen: Hier kommt ein Fan modularer Systeme nach Best auf die Bühne. Aber alleine deren Position hat bei Ricardo schon ihren ganz eigenen Stil: Geneigt und nicht senkrecht, und in einem Halbkreis angeordnet, ganz so wie andere ihre Keyboard-Burg aufstellen würden.
Die Reise geht erst einmal ganz 'standesgemäß' los, nämlich mitten in den 70ern, als ein Berliner Trio die gleichnamige Schule definierte. Pulsierende Sequenzen erinnern sofort an 'Rubycon'. Ricardo vermeidet es allerdings, diese Reminiszenz allzu lange und allzu simpel zu zelebrieren. Es dauert nicht lange, da strömen die Fluten schneller und variabler: Auf so einem modernen modularen System lassen sich doch um einiges komplexere Sequenzen konstruieren, als auf dem, was man vor einem halben Jahrhundert hatte. Das trifft sowohl auf die Auswahl der Sounds zu, als auch die Menge der parallel laufenden Sequenzen. Und Ricardo sorgt mit ständigen Variationen dafür, dass es niemals langweilig wird. So wie er mal links, mal rechts und auch mal beidhändig die Geräte bedient, wirkt er beinahe wie ein DJ. Dabei wird auch gerne mal ausgetestet, wo eigentlich die Grenze zwischen Sequenz und Rhythmus liegt.
Nach einer Viertelstunde wechselt Ricardo mit dem zweiten Track zu einer ruhigeren Gangart. Die schnellen Sequenzen machen weiten Flächen Platz und schaffen eine Atmosphäre, die problemlos auf ein Ambient-Festival passen würde. Da ist dann auch Raum für dezente Improvisationen, und eigene Gedanken. Denen kann und muss man freien Lauf lassen, denn Ricardo verzichtet - wie übrigens alle Musiker an diesem Tag - auf die Musik begleitende Visuals.
Nach einer ähnlichen Zeit wie für den Einsteiger-Titel zieht das Tempo wieder ein wenig an. Ein gemächlicher und wiegender Rhythmus macht uns alle behutsam wieder aufmerksam, denn jetzt geht in die Weiten des Alls. Das ist ja ein größtenteils dunkler Ort, und so fährt die Lichtregie die Saalbeleuchtung größtenteils herunter - was Ricardo mit seinen blinkenden Geräten besonders gut zur Geltung kommen lässt.
Über die restliche Strecke des Konzerts wird der Wechsel zwischen rhythmischen und flächigen Passagen beibehalten, ohne bereits einmal da gewesenes zu wiederholen. Ich muss sagen: Ich bin sehr beeindruckt, das ist eine ganz eigenständige Art, die Berliner Schule zu interpretieren. Der könnte ich noch eine ganze Weile zuhören, aber nach einer knappen Stunde ist die Reise durch Ricardos Klangwelten für heute zu Ende - die zweite Pause steht als nächstes auf dem Plan. Der Saal leert sich aber nicht sofort, dafür ist Ricardos Setup zu interessant. Viele wollen es aus der Nähe sehen und genauer begutachten. Der Autor dieser Zeilen ist darunter, und bei der Gelegenheit ist das Aufmacherfoto zu diesem Bericht entstanden.
Die Pause ist bewusst etwas länger geplant, und Nico wird in ihr auch kein Set spielen. Wem der Sinn nach einem 'richtigen' Abendessen steht, der kann das tun, ohne etwas zu verpassen. Für die 'Aktiven' an diesem Tag bleibt üblicherweise keine Zeit, irgendwohin zum Essen zu gehen. Aber Harald und Gerrit haben auch daran gedacht: In einem der Aufenthaltsräume steht ein Buffet mit asiatischen Spezialitäten bereit, und es ist reichlich genug, dass Alle sich den Teller mehr als einmal füllen können. Nur nicht übertreiben, denn sonst schützt auch der Kaffee danach nicht mehr vor der 'Futternarkose'. Und das wäre schade, denn nach der Pause geht es mit einem Konzert weiter, das man nicht im Dämmerzustand an sich vorbei ziehen lassen sollte:
Es ist übersichtlich vor den Zuschauerreihen geworden, nur die Setups der beiden letzten Acts stehen noch. Gerrit stellt sich neben den rechten davon, um René van der Wouden einzuführen. René hat sich in den letzten Jahren ein wenig rar auf der Bühne gemacht. Wann habe ich ihn zum letzten Mal live gesehen? Das muss noch vor der Pandemie gewesen sein, ich meine in Groningen. Abseits der Bühne hat sich René in den letzten Jahren aber keineswegs auf die faule Haut gelegt, wie ein Blick auf seine Bandcamp-Seite beweist. Beim Stil hat er sich auf den letzten Jahren durchaus variabel gezeigt, man darf also gespannt sein, was er für heute daraus ausgewählt hat. Aber vielleicht hat er auch bisher unveröffentlichtes mit nach Best gebracht?
Was auch immer jetzt kommt, es erwächst quasi aus dem Chaos. Zischen, Rauschen und Flächen erinnern an die ungeordnete Materie, aus der sich das All entwickelt hat. Hier wachsen daraus die Sequenzen, aber so wie das Universum sich nicht in Nullzeit geformt hat, nimmt René sich dafür Zeit. Über fast zwanzig Minuten erstreckt sich der erste Titel, der immer voller und opulenter wird. Aber irgendwann muss man auch mal aus so einem Track den Ausstieg finden. Wieder langsam das Volumen herunterfahren? Nein, der Schnitt ist hart, und lässt auch Raum für einen Zwischenapplaus. Danach kommen wir für eine Weile in eine ruhigere Ecke von Raum und Zeit. Nur gelegentlich fliegt ein Objekt vorbei und stört die Atmosphäre, die mit Mellotron-Sounds angereichert wird - ein wenig fühle ich mich an Filter-Kaffee erinnert. Der Rhythmus lässt sich dieses Mal Zeit mit dem Einstieg, und verdrängt alles andere auch nur nach und nach. Das scheint jetzt das zu sein, wonach René gesucht hatte, denn er geht jetzt selber diesen Rhythmus mit - da hat jemand seine Eigenresonanz gefunden?
Wenn man einmal in den Tunnel gefunden hat, dann bleibt man auch so lange darin wie es geht. Eine gute halbe Stunde geht René den gefundenen Weg weiter, und auch uns fällt der Ausstieg nicht leicht. Das hätte gerne noch etwas weiter gehen können, wenn da nicht die unerbittliche Uhr wäre...
...die erst einmal zur letzten Pause ruft. Einen guten Teil davon füllt wieder Nico und verkürzt die Wartezeit, während drinnen alles für das letzte der vier Konzerte vorbereitet wird. Das Warten wird sich lohnen, denn das wird von Hans 'Skoulaman' van Kroonenburg bestritten werden. Hans ist sicher noch nicht ganz so lange eine feste Größe wie Ron, aber er hat sich in den letzten Jahren durch seinen ganz eigenen und originellen Stil einen Platz erobert. Live-Auftritte haben ihn schon bis in die Vereinigten Staaten geführt.
Im Vergleich dazu ist der Auftritt in Best heute in Best natürlich beinahe ein Heimspiel, sein Equipment hat nicht weit mit ihm reisen müssen. Das hat er zu einer respektablen 'Keyboard-Burg' zusammen gebaut, in die er quasi hinein steigen muss.
Traditionelle Berliner Schule spielt in Hans' Musik eine gewichtige Rolle, aber eben nicht nur. Eine Spezialität von Hans sind die mit Arpeggios angereicherten Sequenzen, und man merkt schon bei den ersten Takten, dass er sich für diesen Abend von einem großen Griechen hat inspirieren lassen.
Was mich an der Musik von Vangelis immer beeindruckt hat, ist wie er aus ganz wenigen Tönen nicht nur eine Melodie baute, sondern auch Atmosphäre und Stimmung schuf. Diesem Prinzip scheint Hans heute ebenso zu folgen: Ein minimalistischer Einstieg, der eine fast schon feierliche Stimmung in den Saal zaubert, wird nur ganz behutsam mit Sequenzen und Chören ergänzt. Man bemerkt beinahe nicht, wie der erste Track auf seinen Höhepunkt zusteuert. Dabei dürfen gerne auch mal ein paar jazzige Impros auf dem Weg liegen.
Wie schon bei den vorherigen Konzerten, wird der nächste Titel oder ein Wechsel in der Stimmung vom Licht unterstützt. Hans fängt jetzt nicht mehr ganz bei Null an und steigt auch gerne direkt mit der Sequenz ein. Aber er bleibt dem Prinzip des 'weniger ist mehr' treu: Die Sounds sollen für sich stehen und wirken. Ganz extrem wird das gegen Ende des Auftritts, als die Spots nur noch auf Hans leuchten und er 'mal eben' ein Piano-Solo aus dem Hut zaubert. Wird es von diesem Konzert einen Mitschnitt geben? Da ist soviel enthalten, dass man das alles gar nicht beim ersten Hören entdecken kann.
Großer Applaus ist Hans für diese Leistung gewiss. Eine Zugabe? Für heute hat er alles gespielt. Und wer sich für sein Setup interessiert, vor allem für das eine oder andere selbst angefertigte Gerät, bekommt gerne Auskunft. Hans ist noch eine ganze Weile von Interessierten umringt, nachdem Gerrit die Abmoderation gemacht und uns allen eine
sichere Heimfahrt gewünscht hat.
Skoulamans Konzert war ein perfekter Schlusspunkt für ein gelungenes Event. Alle Acts des Tages sind dem Prädikat 'Meister' gerecht geworden. Ähnliches Lob verdienen das Team des t'Tejaterke, und ganz besonders Harald und Gramberg, deren geistiges Kind dieses Festival ist. Auch in 2025 soll es wieder ein 'Dutch Electronic Masters' geben, und das darf auch gerne wieder hier in Best stattfinden. Ich werde dann auf jeden Fall dabei sein.
Alfred Arnold