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Kolumne: Die Kunst vo(r)m Überleben

Künstler zu sein ist wahrhaftig nicht leicht! Schon gar nicht, wenn man sogar seinen Unterhalt damit verdienen muss. Hungergagen, Angebote für "Umme" zu spielen, miese Verkaufszahlen von Tonträgern und schlecht besuchte Locations sind keine Seltenheit. Noch nie hatte man den Eindruck, dass es Künstlern (wir sprechen hier mal nur vom Tonerzeugenden) schlechter ging als heutzutage?! Stimmt und wird wohl auch nicht besser, zumindest für diejenigen, die bis jetzt nicht verstanden haben, dass es auch in dieser Branche zugeht, wie in anderen "Belohnungssystemen".

Nun, für viele Konsumenten und andere kommerzielle Auftraggeber ist der Dienstleistungseinkauf von Musik mittlerweile vergleichbar mit dem Gang auf die gewerbliche Toilette, die Fahrt in die Autowaschanlage oder die Beschaffung von Hygiene-Artikel; also eine emotionslose Formsache! So scheint es zumindest, denn wie anders erklärt sich der stetige Verlust des Ansehens musikalischer Erzeugnisse?

Liegt es tatsächlich nur am medialen Überangebot ? Sind es die "Ich-klick-mir- einen- Song-Amateure" die anstelle der bezahlten Cover-Band-Profis die "Kleinstevents" beschallen dürfen und mit Laptop und Maus unbeachtet in der Kneipen-Ecke stehen? Überfrachtet uns Youtube, Google, Facebook und Co. mit dem Voyeurismus-Trash, den wir alle so heraufbeschworen haben und nun nicht mehr loswerden können? Ist es die letzte und wahrhaftig unwichtigste Information, die uns, getragen vom Internet erreicht und davon abhält die Qualität in der Menge noch zu sehen oder sehen zu wollen?

Der Musikmarkt leidet wie ALLE "Märkte"! Getrieben von Konkurrenz, Schnelllebigkeit und der Angst nur "zweiter" zu sein, unterdrückt der Mechanismus mehr und mehr die Qualität der Kunst. Dabei ist Kunst etwas, was scheinbar nur noch nach Wert und Kaufpreis definiert wird und nicht nach Inhalt und Qualität. Wir ertappen uns täglich selbst, dass wir erstmal alles ökonomisch betrachten, egal ob es um die verkaufte Summe des neuen Albums von Künstler  XY geht oder wir die Menge der Besucher eines Festivals als maßgeblichen Erfolg bezeichnen. Selten zählt die Darstellung, das Gehörte oder Gesehene als finales Ergebnis. Sicher, das wirtschaftliche Handeln ist noch nie so präsent gewesen wie heute, aber wie kann es mit Kreativität konform gehen, ohne dabei die Grundidee der "Unterhaltung" zu verlieren?

Uns wird das ewige Geheule leider nicht helfen, denn liebe Musikerzeuger, auch in eurem Gewerbe geht es weiterhin um Individualität, neue Ideen und Produktionen mit Anspruch. Dies ist nicht anders als bei anderen "kaufbaren Gütern". Jeder der etwas "verkauft" unterliegt dem Gesetz des Anspruches und der Qualität. Dies gilt im übrigen auch für die Form der Präsentation, die Bewerbung und der Außendarstellung!
Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass es nur bei "Kunst" scheinbar gefordert wird, dass sich die Allgemeinheit um den Erfolg zu kümmern hat und es bitte keine normalen und üblichen Marktgegebenheiten geben darf. Wieso kann Musik nicht der gleichen Vergleichsforderung unterliegen und muss sich nicht an der Leistung ähnlicher "Artikel" messen lassen?

Alles und Jeder soll sich heute bewerben, Alleinstellungsmerkmale erstellen, seine Vorzüge herausarbeiten und sich und seine Arbeit vermarkten. Erst wenn man dies erfolglos oder erfolgreich hinter sich gebracht hat, wird man feststellen, dass Musik ein "Geschäft" ist, wie jedes andere auch. Zunächst benötigt man also ein gutes Produkt (es darf sogar auch mit Freude, Leidenschaft und Engagement geschaffen worden sein), danach überlegt man sich eine sinnvolle Werbestrategie und "verkauft" sich und seine Musik nach den eigenen individuellen Vorstellungen.

Wenn alle drei Elemente authentisch, "ehrlich" und professionell umgesetzt wurden, ist es mit dem Erfolg meist nicht mehr allzuweit! Wer viel probiert, aktiv ist und an sich glaubt, kann und wird auch etwas erreichen. So wie in allen anderen Bereichen unseres Lebens auch, egal ob es um den Job geht oder wir auf Paarungssuche sind. Wer sich dabei aber in die Abhängigkeit von kommerziell denkenden Vertrieben oder in A&R-Systeme begibt, darf sich nicht wundern, wenn die es nach ihren Regeln umsetzen werden. 

Sorry, aber die "richtige" Arbeit beginnt erst dann, wenn das Album fertig ist, die Proben für den Live-Gig starten oder man weiß wofür der Begriff "PR" steht. Stimmt es steht für "praktisch Ruhelos"! 

Stefan Erbe


 

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.