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Freitag der Schwarze!

Tag der Deutschen Einheit? War gestern! Totensonntag? Ach geh wech damit! Ostern und Weihnachten? Völlig überholt! Schwarze und Rote Freitage und die Wochen des ultimativen Schnäppchens sind die wirklichen wichtigen Feiertage im Jahr. Wer etwas auf sich hält, der nimmt seinen Jahresurlaub Ende November und verbringt diese heimelige Zeit in den Werbeauslagen, mit gedruckten Sonderangeboten und radikalen Reduzierungsabsichten. Dabei wird der Tag nicht mehr in Uhrzeiten gemessen, sondern er erhält dekadierte Prozentangaben, die das neuerliche Megaschnäppchen in der Zeit vor und nach den zu erwartenden 50% Hürde einteilen. Da werden Altpapiercontainer über mehrere Wochen leer bleiben, da der erfahrende Einkäufer garantiert keine werbewirksame Zeitungsbeilage zu viel entsorgen will, während ganztägig Radio und TV in gemeinschaftlicher Kakophonie laufen um die verkaufsfördernde Beschaffungs-Predigten abzuhalten.
Und wir? Wir sind die Schäfchen, die besinnungslosen Schlachtbankkälber

und die temporären Gehirnabschalter, die sich willig auf die Vorgaben der Warengottheiten einlassen und kaufen. Konsum als Religion. Wie praktisch auch, dass der Herr der Artikelgaben die zahlungsfreundliche Arbeitgeberzeit berücksichtigt hat und viele das 13. Gebot des Gehaltes anwenden können. Ja, es wird bunt, wenn rot-gelbe, dunkelbraune Klein-Lkws von der Straße drängeln, lächelnde schwarze Pfeile auf Kartonagen Lieder singen und auch der Lebensmitteldiscounter um die Ecke nun endlich auch auf das farbenfrohe Geldvermehrungswochenende einstimmt. Es wird doch auch alles so schön sein, denn endlich gibt es einen Feiertag, nein sogar Feierwochen für alle Religionen. Niemand wird wegen seiner Hautfarbe diskriminiert, keine Randgruppen die im Fokus stehen oder jemand der für ein Megaschnäppchen das Land verlassen muss. Keine Restriktionen verbieten irgendwem die Teilnahme, egal welcher Partei oder Gesinnung er angehört. Tatsächlich scheint die ganze Welt nur auf dieses Wochenende zu warten, um sich der virtuellen fleischlichen Gelüste eines tief in sich wohnenden Instinktes zu erledigen. Erstaunlich, aber es ist ein perfektes Sinnbild unserer Gesellschaft, nein der Menschheit wenn wir wie ferngelenkte Bedarfseinzeller unser Umgebung nur noch in durchgestrichene UVPs kategorisieren und den Zeigefinger schon seit Wochen zu Höchstleitungen trainieren, um ja im richtigen Moment die geringste Clicktobuy-Latenz abrufen zu können. Denn nur eins zählt, kaufen, bestellen, ordern und haben wollen. Egal wie und wie viel.
Es würde nicht verwundern, wenn sich irgendwann eine Partei wie z.B. die DKP aus Werbewirksamkeit in Deutsche Konsum Partei umbenennt und den Black Friday als offiziellen Feiertag einfordert. Ich wette, dass eine bundesweite Bürgerabstimmung zu neunundneunzigkommasieben Prozent dafür wäre. Dann müssten wir uns nur noch auf eine Gottheit einigen. Schaffen wir.

SE

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.