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Hello 2024 - Begrüßung auf Niederländisch

Die Bescherung ist vorüber, der Festtags-Braten vertilgt, und im Kühlschrank steht der Sekt bereit, um den Jahreswechsel zu feiern. Doch halt, zwischen Weihnachten und Neujahr ist noch eine Sache, die zumindest der EM-Fan nicht auslässt: Das Jahresabschluss-Konzert des Schallwende-Vereins im Bochumer Planetarium am 30. Dezember. Da der Blick an diesem Tag in die Zukunft geht, trägt dies den Namen 'Hello' und den des kommenden Jahres.

Hello 2024

Diesen klingenden Ausblick ins kommende Jahr wollten auch dieses Jahr knapp 300 Besucher nehmen - wie auch schon in früheren Jahren, war 'Hello 2024' Wochen vorher ausverkauft. Zwar gibt es auch hier kurzfristig stornierte Reservierungen, aber es ist natürlich ein Glücksspiel, auf so etwas zu spekulieren und nach
Bochum anzureisen.

Sollte ein solcher Plan nicht aufgehen, kann man sich immer noch mit zweierlei Dingen trösten: Zum einen, im alten Jahr noch einmal viele Bekannte getroffen zu haben, die die musikalischen Vorlieben teilen: Bereits eine Stunde vor Beginn der Vorstellung ist das Foyer des Bochumer Planetariums beinahe übervoll. Gerade um die improvisierten CD-Stände herrscht dichtes Gedränge, und die sind die andere Sache, die einen Besuch lohnt. Stefan Erbe hat ein Köfferchen mit den (noch) auf Silberling verfügbaren Teilen seiner Diskographie dabei, die mittlerweile auch schon drei Jahrzehnte zurück reicht. Einige Alben sind nur noch als Einzelstücke vorhanden - wer noch nicht hat und will, sollte hier und jetzt nicht lange zögern.

Der größte Anziehungspunkt ist aber - nicht anders zu erwarten - der Stand des Groove-Labels, und der ist nicht ohne Grund hier und heute aufgebaut: Als Act, der am heutigen Abend die Bühne des Planetariums bespielt, konnte der Schallwende-Verein das noch recht neue Duo aus Ron Boots und Rob Papen verpflichten.

Deren gemeinsames Projekt fand seinen Ursprung in einem traurigen Ereignis, nämlich dem Tod von Klaus Schulze im Vorjahr. Aus einem einzelnen, als Tribut gedachten Titel erwuchsen mittlerweile zwei Alben, mehrere weitere Live-Auftritte und ein Schallwelle-Preis für den besten Künstler international. Heute Abend werden sie beide hier unter der Bochumer Sternenkuppel spielen.

Vor dem Spiel steht aber noch der Aufbau an. Das geschieht im Planetarium immer unter besonderen Randbedingungen, denn bis um 19 Uhr laufen an diesem Tag noch reguläre Vorstellungen. Zeit zum Aufbau ist also entweder am frühen Vormittag, noch vor der ersten Vorstellung, oder in den zwei Stunden zwischen der letzten Show und dem Konzertbeginn. Manchem Musiker würden solch strikte Zeitvorgaben die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Gerade bei EM-Musikern mit ihren komplexen Setups ist das Risiko hoch, dass irgendein Kabel falsch steckt und für unkalkulierbar lange Fehlersuche sorgt. Ron und Rob sind aber beide Bühnenprofis, und insbesondere Ron spielt hier nicht zum ersten Mal und weiß, worauf er achten muss.

So zeigt der große Zeiger der Uhr nur wenig Minuten nach 21 Uhr, als die Mitarbeiter des Planetariums die Türen öffnen und der Einlass beginnt. Auf eine genaue  Kontrolle der Karten wird heute verzichtet: Der Saal ist ausverkauft, falls irgend jemand sich ohne Ticket einzuschleichen versucht, würde das so oder so auffallen. Mit dieser pragmatischen Einstellung geht die Einnahme der Plätze ohne größere Verzögerungen vonstatten. Ein kleiner Blick auf die Bühne ist auf dem Weg dahin natürlich erlaubt, aber dann sollte man doch eine bequeme Sitzposition einnehmen, damit die Show beginnen kann.

Bei solch herausragenden Ereignissen wie 'Hello' lässt Frau Professor Hüttemeister, Leiterin des Planetariums, es sich natürlich nicht nehmen, die ersten einführenden Worte selber zu sprechen. Wir sind hier zwar im Herzen des 'Potts', aber zum Einstieg taugt auch eine Anekdote aus dem Rheinland: Wenn eine Veranstaltung dort zum ersten Mal stattfindet, dann ist es eine Neuheit; im zweiten Jahr ist sie dann schon Tradition, und im dritten Jahr Brauchtum. So gesehen, ist 'Hello' im Planetarium Bochum längst in der Brauchtumsphase angekommen, denn seit 2010 hat es schon dreizehn Mal stattgefunden. Lediglich einmal musste es wegen Corona ausfallen. Das ist eine schöne Zahl, und die Wertigkeit drückt sich auch in regelmäßig ausverkauften Konzerten aus. Die 'üblichen' Hinweise zur Organisation müssen auch sein, auch wenn die allermeisten Anwesenden sie vielfach kennen dürften: Wer während der Vorstellung die Kuppel verlassen muss, muss bis zur nächsten Pause draußen bleiben. Wegen der Dunkelheit wäre das Unfallrisiko sonst zu hoch. Und da Klaus-Dieter Ungers Projektionen nur bei Dunkelheit wirken, sollte es selbstverständlich sein, kein 'Fremdlicht' in Form von Blitzen oder Handy-Displays zu machen. Ansonsten bleibt ihr nur noch, das Mikrofon an den Schallwende-
Vorsitzenden Klaus-Ulrich Sommerfeld weiter zu reichen.

Für ihn ist die Tradition der dreizehn bisherigen Konzerte auch ein Anlaß, an das Wirken seiner verstorbenen Frau und ehemaligen Vorsitzenden Sylvia Sommerfeld zu erinnern - sie war am Vortag von 'Hello 2022' überraschend verstorben, aber ihr Name bleibt auf immer mit Schallwende und 'Hello' verbunden. Und wo wir bei Verbundenheit sind: Auch Ron Boots hat einen großen Anteil daran, dass 'Hello' über die Jahre ein so großer Erfolg ist, steht er doch heute schon mindestens zum dritten Male auf der Bochumer Bühne. Wie zu der neuen Zusammenarbeit mit Rob Papen kam, das erzählt er uns aber am besten selber.

Rons Erzählung beginnt natürlich auch bei Klaus Schulzes Tod und dem kurzfristig entstandenen Tribute-Track für den E-Day 2022.  Aus dem wurde, wie wir alle wissen, aber mehr, und dieses Projekt ist letzten Endes eine Ehrung für all die großen Namen, die Mentoren für Ron und so viele EM-Musiker seiner Generation waren, und die in den letzten Jahren in so großer Zahl ihre kosmische Adresse geändert haben. Dazu rechnet auch der bereits 2015 verstorbene Edgar Froese, ebenso wie die vielen  anderen, in 2022 von uns gegangenen Musiker. Aber wie Klaus Schulze einmal sagte, er könne nie zweimal das gleiche spielen, so sollte eine Ehrung nicht darin bestehen, das vorgemachte einfach zu reproduzieren, sondern es kreativ einzusetzen und darauf aufzubauen. Drehen wir jetzt also das Licht in der Kuppel herunter und lassen uns überraschen...

...zu den vielen überlieferten Zitaten von Klaus Schulze gehört auch, anlässlich Einführung der Audio-CD gesagt zu haben, jetzt könnte er endlich mal eine ordentliche Einführung für einen Track machen, ohne dass der Hörer die Scheibe mittendrin umdrehen muss. Ganz so viel Zeit lässt sich Ron üblicherweise nicht, und kann er heute auch gar nicht. Aber es ist schon deutlich, ein KS-Tribut will nach und nach aufgebaut werden. Sphärische Klänge und Flächen eröffnen den Abend, und passend dazu  zeigt Klaus-Dieter Unger auch erst einmal nur den Sternenhimmel, oder lässt das äußere Gerüst der Kuppel hindurch scheinen - ein Effekt, den er in den letzten Jahren schon öfters genutzt hat. Nach und nach nehmen die Sequenzen Fahrt auf, und so auch der Lauf der Gestirne an der Kuppel. Wir kennen diesen Track, aber heute kommen die Bässe noch eine Spur dicker daher.

Klaus Schulze wusste ja gelegentlich gar nicht, wie er aus einem Titel aussteigen sollte, und machte dann einen harten Schnitt.  Ron und Rob wählen einen ähnlichen Weg zum zweiten Titel, der von vornherein rhythmischer und mit mehr Tempo daher kommt. Ron und Rob sind jetzt in Fahrt, der zweite Track steigert sich bis zu einem furiosen Crescendo. Auch Klaus-Dieter Unger geht den Spannungsbogen mit: Hatte er sich vorher auch schon einmal getraut, zu den ganz leisen Passagen die Kuppel einfach einmal gänzlich leer und dunkel zu lassen, so wirbeln und drängen sich jetzt die Galaxien am unserem 'künstlichen Himmel'.

Der Ausstieg gelingt dieses Mal ein wenig besser. So entlässt uns das niederländische Duo nicht mit einem harten Schnitt in die Pause. Für die ist eine halbe Stunde angesetzt, was angesichts des ausverkauften Saals nicht übertrieben scheint. Die Kuppel bleibt währenddessen geöffnet. Wer das, was in der Pause zu erledigen war, bereits früher erledigt hat, kann auch schon wieder eintreten. Jetzt ist die Gelegenheit für Fotos und auch ein paar Fragen an die Musiker selber. Ron zum Beispiel verrät, dass er schon seit einer Weile keine DAW mehr im heimischen Studio verwendet. Der kleine Bildschirm auf einem seiner Keyboard-Ständer hängt lediglich als Zweit-Bildschirm an Robs Notebook. So kann er sehen, wann sein nächster Part kommt. Der ist dann live und mit der Hand gespielt.

Diese Art der Abstimmung bewährt sich auch im zweiten Teil des Konzerts, denn Ron und Rob knüpfen nahtlos da an, wo sie vor der Pause aufgehört haben. Aus einer verträumten Melodie entwickelt sich wieder ein langer Track, der einem Klaus-Schulze-Tribute alle Ehre macht - vor allem deswegen, weil eben nicht das Vorbild reproduziert wird, sondern weil Elemente davon hier eine Synthese mit dem eigenen Stil eingehen. Und um man das noch einmal unterstreichen, am Ende das Zitat von Klaus im O-Ton: Er könnte niemals zweimal das gleiche spielen.

Auch wenn der gerade einmal dritte Titel des Abends mit seiner Länge der 'Berliner Schule' alle Ehre gemacht hat, ist von der angekündigten zweiten Dreiviertel Stunde ist noch ein gutes Stück übrig. Da kommt also noch etwas! Ron hatte in seiner Einführung nicht nur Klaus Schulze als musikalischen Mentor erwähnt, da waren auch noch andere große Namen, wie der ebenfalls 2022 verstorbene Vangelis. Wie viel dieser und andere Rons Musik beeinflusst haben und das immer noch tun, das hören wir im Schlusstitel des Abends: Dramatik, dicke Sounds und gerne auch mal ein wenig Bombast. Und ich müsste mich sehr täuschen, wenn ich nicht da und dort etwas höre, was einem französischen Vorbild folgt. So führen Rob Papen und Ron Boots zum Abschluss des Konzerts noch einmal vor, wie sich das Vermächtnis der 70er bewahren lässt: indem man darauf aufbaut und mit den eigenen Konzepten vereint, ohne es einfach zu kopieren.

Wo die Rede vom Abschluss des Konzerts ist: In den Applaus und die Verbeugung der Musiker hinein erschallt der nicht unerwartete Ruf nach einer Zugabe. Eine Stunde würde ja schon reichen! Ron meint zum Spaß, sie könnten auch noch bis nächstes Jahr spielen.  Ob das eine Anspielung auf seinen Plan ist, ein Festival zu organisieren, wo die ganze Nacht hindurch Konzerte laufen? Das ist bisher nur ein Plan, hier und heute bleibt es bei einer kleinen Zugabe, in der Ron und Rob noch einmal zeigen, wie man das Erbe von Klaus Schulze auch interpretieren kann: Es wird beinahe poppig, und Klaus-Dieter Unger zeigt noch einmal, was an der Kuppel alles 'geht'.

Für die nochmalige Verbeugung steht man zu dritt vor der Bühne: Klaus Sommerfeld musste vor zwei Jahren ein schweres Erbe antreten. Es ist ihm aber gelungen, mit den passenden Mitstreitern das nahtlos fortzusetzen, was Sylvia in den Jahren zuvor aufgebaut hat. Der Schallwende-Verein hat Zukunft, nicht nur für das Jahr, das wir gerade begrüßt haben, und auf dessen Highlights Klaus uns bereits einen kleinen Ausblick gegeben hat. In diesem Sinne: Nicht nur "Hello 2024", sondern auch die darauf folgenden Jahre!

Alfred Arnold

 

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.