Zu den Events des letzten Jahres, an die ich besonders gerne zurück denke, gehört ohne Frage die Atelierroute in Sellingen. Bei sommerlichem Wetter konnte man von Station zu Station wandern, Kunst und Handwerk bewundern oder gleich erwerben, und an einigen der Stationen spielten Bas Broekhuis, Detlef Keller, Frank Rothe, Mario Schönwälder oder Michael Menze live Stücke aus dem Repertoire der aktuellen Manikin-Projekte. Dieses Event fiel für die fünf in eine Übergangszeit, was die Spielorte angeht: In der traditionellen Dorfkirche Repelen hatte man im Frühling noch zwei kleinere Konzerte geben können, aber Pläne für Events in zwei anderen Gotteshäusern hatten sich leider wieder zerschlagen.
Das war natürlich gerade im 30-jährigen Jubiläum von Bk&S etwas schade, aber kein Grund zu verzagen. In persönlichen Gesprächen wurde schon die eine oder andere Andeutung neuer Kontakte gemacht, aber nichts davon war 'spruchreif' genug, dass man davon in diesem Blog hätte berichten können. Ein halbes Jahr später, in Frühjahr 2025, war alles in trockenen Tüchern, so dass Termine und Locations veröffentlicht werden konnten. Nun ist es Mitte Mai, und zu einem dieser neuen Spielorte sind wir gerade auf dem Weg.
Wie die Atelierroute auch, liegt das Kleinkunst-Theater Onstwedde in der Nähe von Bas' Wohnort Vlagtwedde. Das stellt man schon bei der Anfahrt fest, denn der Weg von Deutschland aus führt durch Sellingen und über die selbe Landstraße, deren Zustand sich spontan verbessert, sobald die Grenze zu den Niederlanden überschritten ist...von dort aus sind es noch knapp 15 Kilometer bis zum Kleinkunst-Theater in Onstwedde.
Das Theater ist von der Straße aus nicht direkt zu sehen, weil es quasi 'in zweiter Reihe' hinter Wohnhäusern liegt. Ein Schild an der Straße weist aber den Weg, und sicherheitshalber haben Mario und Frank an die Heckscheibe ihres Autos (Kennzeichen: B-KS...!) auch noch ein Plakat geklebt. Und selbst wenn sie es nicht getan hätten: Alleine die Menge an geparkten Autos mit deutschem Kennzeichen verrät unzweifelhaft, dass man sein Ziel erreicht hat.
An der Kasse können nicht nur im voraus bezahlte Karten abgeholt werden, hier sind auch Plastikmünzen für Speisen und Getränke zu erwerben. Das Kleinkunst-Theater lässt seine Gäste nicht dürsten oder hungern, und die Getränke-Bar ist bereits jetzt geöffnet. Eng bestuhlt, könnte der Raum etwa einhundert Gästen Platz bieten. Heute werden es ein paar weniger sein, so dass auch Raum für ein paar Tische dazwischen bleibt. Was die absolute Zahl angeht: Es dürften natürlich immer noch ein paar Besucher mehr sein, aber für ein erstes Event an einem neuen Ort sind knapp 50 Zuhörer gar nicht schlecht. Dies gilt um so mehr, wenn man bedenkt, dass für die meisten der Gäste aus Deutschland der Weg alles andere als kurz war. Selbst zwei Gäste aus England haben es zur Premiere über den Kanal geschafft!
Wir hatten die Anfahrt noch für einen kleinen Einkaufs-Schlenker genutzt, deshalb ist es nur noch wenige Minuten vor 16 Uhr bei unserer Ankunft. Und da das Programm für diesen Nachmittag und Abend voll gepackt ist, beginnt Bas auch pünktlich mit seiner Begrüßung. Dieses Haus hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Ursprünglich eine Kirche, dann ein Gemeinderaum, und aktuell ist daraus ein Kleinkunst-Theater geworden, mit all der dafür notwendigen Licht- und Ton-Technik. Zu deren Aufbau und Betrieb hat Bas maßgeblich beigetragen, und dadurch hatte er auch die Kontakte, um hier einen Termin zu 'buchen'.
A propos volles Programm: Ähnlich wie im letzten Jahr in der Novilla in Berlin werden heute vier Manikin-Projekte spielen: Filter-Kaffee mit Mario und Frank, KelMen mit Detlef und Michael, Kontroll-Raum mit Frank, Mario und Bas, und ganz zum Schluss mit Broekhuis, Keller und Schönwälder der 'Manikin-Klassiker'. Frank und Marios neuestes Projekt "RoSch" ist heute (noch) nicht mit von der Partie. Das gerade vor ein paar Wochen erschienene Debüt-Album ist aber - wie der gesamte Manikin-Katalog am CD-Stand erhältlich. Label-Chef Mario darf schon ein wenig stolz und zufrieden auf die ausgebreiteten Releases sitzen...
Aber auch mit den vier angekündigten Konzerten - vier Bands, 5 Herren, wie Bas sich in seiner Einleitung ausdrückt - ist die Bühne des Kleinkunst-Theaters randvoll, und das wird sie auch den Rest des Tages bleiben. Bas geht in seiner kurzen Einführung auch noch auf die bewegte Geschichte dieses Gebäudes ein, und wie schlussendlich ein Kleinkunst-Theater daraus wurde. Allzu viele Worte möchte er aber nicht machen, denn jetzt ist in doppeltem Sinne Kaffeezeit: Die Uhr zeigt kurz nach vier, und "Filter-Kaffee" wird den Tag eröffnen.
Unter diesem Namen erkunden Mario und Frank bereits seit einigen Jahren die Klangwelten der klassischen Berliner Schule. Im Vorjahr ist mit "106" ein neues Kapitel veröffentlicht worden, und Mario hat auch verraten, dass es noch reichlich Filtertüten-Größen für weitere Albentitel gibt. Der Projektname ist natürlich ein Wortspiel: Es geht nicht nur um das bei den Aufnahme-Sessions bevorzugt genossene Getränk, Filter sind auch einer der Grundbausteine modularer Synthesizer. Diese Zweideutigkeit kommt auch im Projekt-Logo zum Ausdruck. Heute ist auch wieder der Kaffeefilter in physischer Form dabei, ein klassisches Exemplar von Melitta in Porzellan-Ausführung. Der darf heute aber Schaustück bleiben, denn Kaffee ist bei der Bewirtung zu haben.
Nun aber endlich zur Musik: Wie man es von Frank und Mario kennt, steigen sie mit Flächen und sphärischen Klängen ein. Dieses Mal werden sie etwas schräger gestaltet, und auch Sequenz und Rhythmus haben einen leicht 'ethnischen' Touch, den ich so vorher noch nicht von Filter-Kaffee gehört habe. Und sie spielen das in einer so entspannten und lockeren Form, dass ich mich beinahe schon in den Klangwelten von BK&S wähne. Mario bestätigt nach dem Titel die Vermutung: "Red Cloud" ist bisher noch nicht auf CD erschienen. Der Name leitet sich übrigens von dem berühmten, gleichnamigen Lakota-Häuptling ab.
Weiter geht es mit "Run to Catch Your Thoughts". Track Nummer Zwo rennt aber nicht sofort los, es ist eher ein gemächliches Schreiten. Wenn man die Sache in Ruhe angeht, lassen sich die eigenen Gedanken gleich viel besser einfangen und in Klänge verwandeln: Auch das Tempo der Sequenz ist eher gemäßigt. Erst nach und nach, so wie es sich ergibt, steigt das Tempo an. Dabei werden die Sounds vielschichtiger und verwobener. So ein Klanggebäude verlangt nach Muße und Zeit, sowohl beim Schöpfer als auch bei den Hörern, die das Ergebnis genießen dürfen. Der Beifall ist Mario und Frank am Ende sicher. Und weil so ein Werk eben seine Zeit braucht, ist Track Nummer drei bereits die faktische Zugabe. Er stammt vom aktuellen Album "106", und der Name "Kaltwasserhahn" stammt dieses Mal von Frank. Was ich bereits vor einem Jahr vermutet hatte, als ich ihn zum ersten Mal hörte: Der Name spielt auf "Coldwater Canyon" von Tangerine Dreams 1977er-Klassiker "Encore" an. Jetzt fließen die Sequenzen, wie man es aus den 70ern kennt und liebt! Die Gitarre, die Edgar beim Original gespielt hat, kommt in dieser Interpretation synthetisch vom Keyboard. So ist der "Kaltwasserhahn" eine echte Hommage an das Original, ohne es zu kopieren.
Eine kleine Anmerkung zu den Bildern dieses ersten Konzerts: Bas hat licht-technisch Spots auf die Musiker gesetzt, und der Amateur-Fotograf, der gerade auch diese Zeilen zum virtuellen Papier bringt, hat zu Anfang des Tages noch ein wenig mit den sich daraus ergebenden Kontrasten zu kämpfen. So fangen sie ausnahmsweise einmal Franks und Marios Mienenspiel nicht ganz so klar ein, wie es zwischen Konzentration und Freude wechselt. Die Freude an dem Ergebnis ist nach den ersten knapp sechzig Minuten auf beiden Seiten gegeben, und der Fotograf wird an seinen Kamera-Einstellungen im Verlaufe des Tages noch ein wenig feilen.
Dazu hat er nach einer kurzen Pause wieder Gelegenheit, als der Fokus auf der Bühne von der linken auf die rechte Seite wechselt, von "Filter-Kaffee" zu "KelMen", von Frank und Mario zu Detlef und Michael. Ich weiß natürlich nicht, ob die Anordnung der einzelnen 'Arbeitsplätze' bewusst so gewählt wurde, oder ob sie sich nur zufällig so ergab. Aber mit dem Wechsel der Seite geht auch ein Wechsel der Stimmung einher. Vom puristischen, etwas kühlen Stil der 'reinen' Berliner Schule wird es melodischer, wärmer und auch gefühlvoller. Gleich der Einsteiger "Results 1" vom gleichnamigen Debüt-Album zeigt das. Auch hier hört man Sequenzen, aber Detlefs Spiel auf dem Blas-Kontroller - habe ich ihn vorher schon einmal live damit gesehen? - gibt die Richtung für die folgenden Titel vor. Deren Namen kommen von Detlef, und der hat sich schon immer an der Namensgebung orientiert, die ein großer Franzose bevorzugt. So folgt auf "Results 1" einfach "Results 2". Und Detlef will will sich auch heute nicht viel mit Worten aufhalten...weil man gerne zeitig isst! Durchs Fenster kann man schon sehen, wie draußen der Grill angeheizt wird, während Michael und Detlef das Tempo weiter anziehen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo es nicht mehr schneller geht, und dann wechselt "Results 2" zu fetten Drums und einer schönen Melodie. Die Stimmung ist einfach mitreißend und vorwärts strebend, heute noch mit sphärischen Chören unterlegt.
Nun ist "Results" ja bereits 2023 erschienen, und Detlef und Michael sind seitdem nicht untätig gewesen. Als im letzten Jahr die "Manikin 5" in Berlin anlässlich der Superbooth spielten, hatten sie ihren Beitrag einfach nach dem Ort "Novilla" Teil eins und zwei genannt. Davon ist bisher nichts auf CD erschienen: Wer nicht in Berlin dabei war, konnte es bisher nicht hören. Hier in Onstwedde bietet sich eine zweite Gelegenheit: "Novilla 1" schließt an den vorherigen Titel an und eröffnet das ganz große Panorama, in dem Dramatik, Chöre und Sequenzen ihren Platz finden. Das Stück ist einfach mitreißend, und ein Beweis dafür, dass Michael und Detlef in diesem Projekt ihren eigenen Weg gefunden haben.
Eine Bemerkung möchte Detlef vor dem zweiten Teil doch noch loswerden: Bas ist am heutigen Tag die 'Lichtgestalt'. Gelegentliche Handzeichen von den gerade Spielenden sind an ihn gerichtet, das Licht für den folgenden Track umzuschalten. Für "Novilla 2" ist das auch wichtig, denn nach dem musikalischen Feuerwerk gönnen die "KelMen" uns eine kleine Atempause: Das Klangbild bleibt dicht, aber ein locker-luftiger Groove lädt zum Zurücklehnen ein.
Man hatte sich schon von Anbeginn gefragt, was die Topfpflanze an Michaels Seite für eine Rolle spielt. Alleine zur Dekoration wird sie wohl nicht dienen, sonst wäre sie auch nicht 'verkabelt'. Das Rätsel wird jetzt gelüftet: Detlef bedient mit seinen Händen ja gerne auch einmal die Laserharfe, und jetzt wird er sie an Erikas Blätter legen, um ihnen Klänge zu entlocken. "Erika", so haben die beiden ihr grünes Instrument getauft. Ob sich der Name von zwei Orten dies- und jenseits der Grenze ableitet - wir wissen es nicht. Aber das Funktionsprinzip wird im Nachgang verraten. Wie bei einem Theremin fungieren die Blätter als Antennen, und eine kleine Elektronik wandelt die Felder In elektrische Signale um. Nur dass man dieses Theremin regelmäßig gießen muss...aus Erikas Signalen, von Detlefs Händen gesteuert, macht Michael Chöre, die für den sphärischen Einstieg sorgen. Wie von "KelMen" zu erwarten, setzt nach nicht allzu langer Zeit der Rhythmus ein, und beschwingt durch die in grünes Licht getauchte Bühne, liefern sie schon beinahe eine Soul-Nummer ab!
Vom Grill draußen zieht schon der Duft des Essens herein, aber ein wenig Zeit für einen 'kurzen' ist noch. Detlef kündigt eine Tonart an, die es nur im Manikin-Universum gibt, nämlich "Pull-Moll". In der improvisieren beide ein paar Minuten noch auf dem Thema von "Source of Life", ein Titel, den Detlef in der passenden Stimmung gerne wieder einmal aufgreift. Für ein pompöses Finale reicht die Zeit dieses Mal nicht, aber er setzt einen schönen Schlusspunkt unter das zweite Konzert des Tages. Erika und ihr Interface werden noch eine Weile im Fokus des Interesses und Aufhänger für Gesprächen bleiben.
Solche Gespräche führen sich natürlich am besten, wenn der Magen nicht mehr leer ist. Also hinaus an die frische Luft, in der der Duft der vorbereiteten Snacks hängt. Das Team vom Kleinkunst-Theater hat sich viel Mühe gegeben: An mehreren Stationen kann man wählen: Eine Portion Fritten, ein Burger, oder ein Schälchen Suppe? Da gerät die Wahl schon beinahe zur Qual. Die Lösung: Einfach von jedem etwas, Münzen sind weiterhin erhältlich und in eine Stunde ist ja reichlich Zeit.
Aber wie dem so ist, vergeht die Stunde bei Gesprächen und Speis und Trank wieder einmal schneller, als man wahr haben möchte. Der große Zeiger auf der Uhr ist schon vor ein paar Minuten über die Zwölf geschrappt (wie Detlef in seiner Radiosendung immer sagt...), als Bas die Besucher zur zweiten Hälfte begrüßt und für die kleine Verspätung um Verzeihung bittet. Die Vorstellung fällt kurz und bündig aus: "Frank Rothe, Mario Schönwälder, Bas Broekhuis - Kontrollraum!". Was natürlich auch bedeutet, dass sein Platz dieses Mal auf der Bühne und nicht an der Technik ist.
In dieser Konstellation ergänzt Bas die klassischem EM-Sounds von Frank und Mario um seine Perkussion. Das gibt der Sache deutlich mehr Energie, und gleich im Einsteiger nimmt das Trio aus Berlin und den Niederlanden richtig Fahrt auf. Der Titel hat Drive, ohne seine Wurzeln zur Berliner Schule zu verlieren. Mittlerweile hat auch der Fotograf die passende Einstellung gefunden: Kürzer belichten, dann sind die Gesichter nicht mehr so überstrahlt. So kann er ein ums andere Mal im Bilde festhalten, wie Bas sich förmlich selber 'in den Tunnel spielt'. Nur aufpassen, dass man den Ausstieg findet, es stehen ja noch weitere Titel auf der Playliste! Nach einem kurzen Zwischenspiel, um die Maschinen zu einem geordneten (Zwischen)halt zu bringen, ergreift Mario wieder das Mikrofon. Dieser Titel gehört auch zu den heute gespielten, die bisher nicht auf einem Album veröffentlicht wurden. Sein Name "Elektra X" leitet sich von einem der darin verwendeten Sounds ab.
Track Nummer zwei, "On A Sunny Day", findet sich ebenfalls auf keinem der bisher drei Alben von "Kontroll-Raum". Bas gestaltet sein Spiel dieses Mal deutlich anders: weniger wuchtig, dafür komplexer und vielschichtiger. Frank und Mario steuern die dazu passenden Sounds bei, und es ergibt sich ein schönes, warmes Klangbild. Das passt nicht nur gut zum Namen des Titels, auch zum heutigen Wetter. Es ist Frühsommer im Norden der Niederlande. Es war über den Tag sonnig und angenehm warm. Ihre volle Kraft hat die Sonne aber noch nicht, und so hat der eine oder andere inzwischen die Jacke aus dem Auto geholt.
Eben noch am Boden, können wir jetzt abheben: Track Nummer drei hört auf den Namen "MEO", was eine Abkürzung für "Mean Earth Orbit" ist. Eine kurze Recherche verrät, dass sich zum Beispiel die Satelliten der globalen Navigationssysteme auf solchen Bahnen bewegen. Zum Genuss dieses Titels ist solch Wissen aber nicht notwendig, man darf auch gerne einfach so eine Runde mitfliegen und -schweben, während Bas seine Drums dieses Mal eher sparsam einsetzt.
War das dem einen oder anderen vielleicht zu sparsam? Die Zeit ist im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge vergangen. Marios Frage geht in die Runde, ob man Bas vielleicht doch noch einmal trommeln hören möchte? Eine Frage, die selbstverständlich rhetorisch war, und so darf er in "Second Step" noch ein Minuten seine Drums bearbeiten. Zum Abschluss gerät sein Spiel wieder druckvoller, was durch das rote Licht auf der Bühne unterstrichen wird.
Auch wenn die Zeit dem Plan mittlerweile ein wenig enteilt ist, eine kleine Pause muss sein. Umzubauen ist auf der Bühne zwar nichts, aber Mario und Bas müssen ihr Outfit wechseln: Zu jeder der Manikin-Formationen haben sie passende T-Shirts mit dem Logo dabei, und im letzten Konzert des Tages ist die mit Abstand älteste davon an der Reihe. Broekhuis, Keller und Schönwälder haben in den letzten 30 Jahren ebenso viele Alben veröffentlicht, und die Ideen gehen ihnen weiterhin nicht aus. Dass das letzte Album "The Vlagdvedde Tapes" bereits von 2022 ist, dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass die anderen Projekte eben auch ihren zeitlichen Tribut fordern, und gut Ding will auch in diesem Fall Weile haben. Bereits im letzten Jahr haben Detlef, Bas und Mario eine erste Version der "Gladbeck Tapes" in Repelen präsentiert. Seitdem wurde weiter an den Titeln gefeilt.
Nun ist es so, dass das Ergebnis dieser Sessions nicht immer mit der Spieldauer einer CD kompatibel ist. Bei den Gesprächen am CD-Stand hat Mario amüsiert angemerkt, dass bei jeder Session irgendwie immer ein Titel übrig bleibt, der nicht mehr auf den Silberling passt. So wurde "Am Großen Baum" noch in Detlefs alter Heimat Duisburg aufgenommen, wurde aber erst auf "The Vlagtvedde Tapes" veröffentlicht. Und heute eröffnen BK&S mit eben diesem Titel ihr Konzert. Er vereinigt all die Tugenden, mit denen das Trio in den letzten Jahren ihrem Sound eine wieder erkennbare Signatur gegeben haben: Marios Flächen, Detlefs Melodien und Impros, und Bas ist mit seinen gefühlvollen Drums quasi der 'Motor' des Projekts. All das mischt sich auf perfekte Weise, und man merkt, wie gut die drei über all die Jahre ein Verständnis für einander entwickelt hat - ein kurzer Blick oder ein Fingerzeig sind ausreichend.
Bei BK&S ist traditionell Detlef der Ansager und Kommentator zwischen den Titeln, und so ist es an ihm zu verkünden, dass es mit den "Gladbeck Tapes" weiter geht, und zwar mit Nummer eins, zwei, vier - und Nummer sechs. Dass live nie einfach in Reihenfolge gespielt hat, hat bei BK&S ebenso Tradition. Dabei geht aber nie der Flow und der Faden verloren, es verschieben sich nur die Gewichte. So dominieren in Teil eins die Chöre und geben dem Ganzen eine schwebende Stimmung. Ich erinnere mich noch gut an die Live-Premiere der "Gladbeck Tapes" vor einem Jahr, das Material ist so frisch und gut wie damals.
Mit einem Windhauch verklingt der erste Teil, um einem Tiefbass in Teil zwei Platz zu machen. Bas wechselt hier wieder zu einem komplexeren Rhythmus, in den wir uns hinein versenken dürfen. Dieser Flow trägt uns durch den kompletten Teil vier. Überrascht stelle ich fest, dass ich mir zu dem gar keine Notizen gemacht habe - offensichtlich habe ich mich in der Zeit auch etwas mit tragen lassen, aber das ist eigentlich ein gutes Zeichen dafür, wie es BK&S gelingt, die Hörer mit in den Tunnel hinein zu ziehen. Erst in Teil sechs verraten Donnerschläge wieder einen kleinen Stimmungswechsel. Jetzt grooved der Sound richtig, aber weiter ohne die musikalische DNA zu 'verraten'.
Waren das jetzt wirklich vier Titel am Stück, und wer hat wieder an der Uhr gedreht? Für eine Zugabe ist aber noch Zeit. "Vlagdwedde Storm" ist eine Anspielung auf das eher bescheidene Wetter, während Detlef und Mario bei Bas zu Gast waren, unweit des heutigen Spielorts. Die Regentropfen trommelten an die Fenster und aufs Dach, und so ist die Grundstimmung des letzten Titels am heutigen Tage eher eine melancholische. Ganz und gar nicht melancholisch sind Bas, Mario und Detlef, als sie sich vorm Publikum verbeugen: Bis auf einen kleinen Stromausfall hat die Technik heute mitgespielt. Was den Besucherzuspruch angeht: Es darf natürlich immer etwas mehr sein, aber für eine Premiere ist die Resonanz völlig in Ordnung gewesen. Wie bereits erwähnt, haben ja sogar zwei Besucher ihren Weg von England hier nach Onstwedde gefunden. Deren Heimweg geht an heutigen Abend nur bis nach Groningen. Unserer ist noch etwas kürzer, nur ein paar Kilometer bis zur Herberge in Sellingen.
Ist wirklich alles für heute gesagt und gespielt? Nein, da wäre noch ein Werbung zu machen! Detlef greift doch noch einmal zum Mikrofon. Am zweiten Oktober sind BK&S wieder live in einer Kirche zu sehen und zu hören, und zwar seit langem einmal wieder in der "And Friends"-Variante mit Raughi Ebert und Thomas Kagermann. Dieses Mal wird es nicht in Repelen sein, sondern im beeindruckenden Xantener Dom! Wie im letzten Jahr in Repelen gilt: Der Eintritt wird frei sein, der 'Austritt' jedoch nur gegen eine Spende. Dieser Ansatz hatte sich im letzten Jahr zweimal in Repelen bewährt, so gibt es keine Hürde für kurz Entschlossene und die Erfahrung hat gezeigt, dass dem Gebotenen angemessene Spenden gegeben werden.
Eine Sache hat aber auch Detlef in seiner Verabschiedung unterschlagen, die der Berichtende an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen möchte: Auch in diesem Jahr wird am ersten August-Wochenende in Sellingen wieder die Atelierroute stattfinden, und die Manikin-Musiker werden auch dieses Mal an der einen oder anderen Station dabei sein. Der einzige Unterschied zu 2024: Mario ist dieses Mal verhindert und wird nicht mit von der Partie sein. Aber auch 'Manikin 4' sind einen Weg in den Norden der Niederlande wert. Am Tag darauf, vor der Rückreise, haben wir direkt zwei der nicht allzu zahlreichen Zimmer in der Sellinger Herberge reserviert. Und die Plastikmünzen, die ich heute nicht ausgegeben habe, werden sicher auch noch eines nicht allzu fernen Tages ausgegeben werden.
2024 und 2025 sind für die Musiker des Manikin-Labels eine Zeit des Umbruchs, was die Spielorte angeht, und dieses kleine, aber feine Theater in Onstwedde ist eine neue Station auf dem Weg, den die fünf Musiker nun schon seit so vielen Jahren miteinander gehen. Und ich bin mir am Ende dieses Tages sicher, dass er noch lange nicht zu Ende ist!
Alfred Arnold