Mit gleich drei Events hatte Ron Boots im letzten Herbst die neue und zugleich alte Spielstätte in Oirschot wieder in den Terminkalender des EM-Fans eingeführt. 'De Enck' hat einen neuen Betreiber und hört jetzt auf den Namen 'De Stolendans', ansonsten bleibt aber (fast) alles gleich: Das Foyer, der große Saal fasst nach wie vor über 300 Zuschauer, und seine Qualität als Treffpunkt von Musikern und Fans aus den Niederlanden und allen umliegenden Ländern ist beim Umzug erhalten geblieben. Einige Besucher hatten noch dem CKE ob der besseren Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln nachgetrauert, aber solchen Problemen konnte Ron erfolgreich mit dem Angebot eines kleinen privaten Shuttle-Dienstes begegnen.
So ließen sich denn auch die Zahlen für den diesjährigen E-Day gut an: Gut 250 verkaufte Tickets konnte Ron kurz vor dem Termin am letzten Tag des Mai vermelden. Zusammen mit ein paar kurz Entschlossenen, die ihr Ticket an der Tageskasse lösten, würde der Saal dieses Mal also vielleicht nicht bis auf den allerletzten Platz ausverkauft sein, aber die Veranstaltung würde wirtschaftlich ohne Zweifel deutlich im 'grünen Bereich' liegen.
Und in der Tat, als wir - relativ knapp vor Beginn - in Oirschot eintreffen, ist das Foyer mehr als gut mit Besuchern gefüllt, und die Luft voll von ihren Stimmen. An die neue Raumaufteilung hat man sich mittlerweile gewöhnt: Der größere Thekenbereich verschiebt alle CD-Stände bis auf den von Groove selber (an so einem Tag natürlich der größte...) etwas an die Seite. Leicht gedrängt, aber gut besucht finden sich hier die Stände einiger weiterer EM-Labels. Bei Remy und Peter Dekker steht natürlich das in diesem Monat geplante Konzert im Planetarium Brüssel im Fokus. Bei Lamberts Spheric-Label sind nicht nur spannende Neuerscheinungen, sondern auch interessante Wiederveröffentlichungen zu sehen und zu hören. Robert Schroeders 1981er-Album 'Mosaique' ist zum Beispiel jüngst neu erschienen. Last, but not least, sind von den 'Manikin 5' immerhin derer vier anwesend und präsentieren alle neuen und noch vorrätigen Alben. Sie stehen sicher auch noch ein wenig unter dem Eindruck des Events in Onstwedde Mitte des Monats. Aber der Blick geht in Richtung Zukunft: Auf das, was an Auftritten in diesem Jahr noch kommen wird.
Auch einige Musiker präsentieren sich zwischen den Label-Ständen: Arjan und Eelco van Elst können in ihrer - aus unserer Sicht - noch eher kurzen - Karriere bereits einige Alben-Veröffentlichungen vorweisen und haben gerade den nächsten Live-Auftritt auf dem Schallwende-Grillfest 'klar gemacht'. Robert Marselje ist seit einigen Jahren wieder aktiver und präsentiert seine aktuellen Werke heute persönlich. Was mich als Aachener besonders freut: Ralf Gülpen alias 'TiRa' ist aus Kerkrade angereist und hat sein brandneues Album 'Time Travel' im Gepäck, eine Zusammenarbeit mit der Aachener Sängerin Missi Wainwright.
Dass man zwischen unter all den Ständen auch noch Stefan Erbe finden würde, dass hätte uns eigentlich schon ein Wagen mit dem Kennzeichen "EN-..." auf dem Parkplatz verraten können. Sein jüngstes Album 'Metamorphosys' ist mittlerweile auch physisch erhältlich. Der Leuchtsockel, auf dem es heute präsentiert wird, stammt mit Sicherheit aus Frau Erbes 3D-Drucker (und ist nicht verkäuflich...). Und auch bei Stefan stehen für dieses Jahr noch einige Live-Termine auf dem Kalender...
...Termine sind aber das Stichwort, denn gleich neben den CD-Ständen hängt an einer Säule der heutige 'Fahrplan' aus. Was dabei ins Auge fällt: Icing Wolf's Auftritt im kleinen Saal vor dem ersten Konzert ist ausgestrichen. Hatte Monika eine Panne, oder steckt sie irgendwo auf der Autobahn im Stau fest? Leider sind in diesem Moment keine weiteren Informationen in Erfahrung zu bringen, und ein Gong erinnert just in diesem Moment daran, sich zum Einlass im großen Saal anzustellen.
Keinen Moment zu früh: Um 10 Minuten vor 14 Uhr öffnet sich die Tür. Zumindest beim ersten Act im großen Saal gibt es also keine Probleme, die einen Beginn verzögern könnten. Nach der Begrüßung und den 'Formalia', die Ron wie üblich in drei Sprachen (mit abnehmender Ausführlichkeit) vorträgt, geht er kurz auf den ersten 'Aktiven' des Tages ein: Hinter dem Projekt 'WEGA' steht Alexander Hardt aus Köln. Ron hat ihn vor anderthalb Jahren auf dem EM-Breakfast in Bochum kennen gelernt, und hatte ihn seitdem auf der eigenen 'Wunschliste'. Von seinem vergleichsweise minimalistischem Setup sollte man sich nicht täuschen lassen. Dieser Aufbau - ein Modularsystem, ein ARP Odyssey, Bildschirm und noch ein paar weitere kleinere Kästchen - ist mir wohl vertraut, damit ist er auch im Februar in den Solinger Güterhallen aufgetreten. Der wichtige Unterschied: Heute steht er solo auf der Bühne und hat keinen Gitarristen mitgebracht.
Und auch der Einstieg in den Tag ist heute ein ganz anderer: Alexander zaubert Flächen und Sequenzen aus seinem Modularsystem und verwebt sie in einer Art und Weise, dass den Fans der 70er-Jahre Musik ganz warm ums Herz werden dürfte. Ich fühle mich bei diesem ersten Track an "Crystal Lake" und dessen Spannungsbogen erinnert: Leise anfangen, und dann immer mächtiger und hypnotischer werden, um uns dabei tiefer und tiefer in das Thema hinein zu ziehen. Die Länge des Einsteigers ist dazu passend gewählt, und über dessen ganze Dauer wahrt Alexander seine musikalische Eigenständigkeit.
Nun sind wir quasi im Tunnel, wo führt der uns hin? Eine Weile noch weiter auf die Pfade klassischer, von Sequenzen getragener EM. In zweiten Titel werden sie zunehmend komplexer und vielschichtiger, so als möchte Alexander unsere Aufmerksamkeit wieder ein wenig anregen. Einen weichen Übergang zum dritten Titel kann er aber dann doch nicht liefern: 'Reboot' wäre der passendere Begriff, und wir sind jetzt eher bei TD der 80er und ihren Soundtracks aus diesem Jahrzehnt angekommen. Das große Panorama wird aufgespannt, Emotionen kann man erspüren und die Energie der Sounds strebt dem Höhepunkts zu, wo sie sich mit einem Knall entlädt.
So wie im Film auch, braucht der Konsument nach einem Höhepunkt eine kleine emotionale Atempause, und so lässt Alex es erst einmal wieder etwas weniger aggressiv angehen. Passen dazu taucht die Lichtregie ihn in blaues Licht. "My last one" verkündet er, und dass der etwa 20 Minuten dauern würde. Wir bleiben gefühlt im Reich der Soundtracks. Die Klänge bleiben wuchtig, aber kontinuierlich und eingängig. Es wird ein Titel zum Wegdösen, so passend wie gefährlich für den frühen Nachmittag. Denn die Schwelle zwischen Dösen und Einschlafen ist ja nur eine kleine, und wie hatte Ron in seiner Einleitung erwähnt - die Sitze hier im Saal sind ja so bequem...
Diese Grenze wurde zum Glück wohl nicht überschritten, denn das Ende dieses wird von großen Applaus begleitet. Alexander Hardt hat heute die Spannbreite seines musikalischen Portfolios gezeigt, in dem für alle etwas dabei gewesen sein dürfte. Man ist sich einig: Das muss noch eine Zugabe drin sein. Ein kurzer Blick zu Ron und ja, das das können wir uns leisten! Als Encore zieht Alex den Opener seines Albums "Echoes from a gentle past" aus dem Hut. In dem vereinigen sich noch einmal die Tugenden seiner Musik.
Eine schnelle Ansage hat Ron noch zu machen, bevor alle in die Pause eilen: Monika Freerk aka 'Icing Wolf' ist mittlerweile in Oirschot angekommen und auch bereits alles oben im kleinen Saal aufgebaut. Wer also wenigstens einen Teil des vorhin ausgefallenen Mini-Konzerts nachholen will: Bitte direkt in den ersten Stock begeben! Das tun wir dann auch und stellen erfreut fest, dass auch andere wenigstens ein paar Takte lang Monikas Klängen lauschen wollen. Die Hektik der Anreise scheint sie abgestreift zu haben: Was sie gerade spielt, wirkt souverän und ohne Aussetzer. Für mehr als ein paar Minuten reicht es jetzt und hier aber leider nicht. Aus der Entfernung ist schon zu erkennen, dass es sich unten vor dem Eingang bereits wieder 'knubbelt'. Aber man sieht sich noch einmal, in der großen Pause und dann für länger...
Nach einem Act aus Deutschland steht jetzt eine britisch-niederländische Kooperation auf dem Programm. Ron Boots spielt nicht zum ersten Mal mit Ian Boddy zusammen, und auch heute hat er sich Harold van der Heijden als dritten Mann und 'Schrittmacher' dazu geholt. Wie immer, wenn er selber spielt, verzichtet Ron auf eine Ansage. Anstelle dessen kommt zuerst Ian auf die Bühne, fängt an, sich in seiner 'Keyboard-Burg' einzurichten, und testet noch ein paar Dinge aus. Als er mit dem Ergebnis zufrieden ist, kommt die kurze, einladende Handbewegung: Wir können loslegen! Harold und Ron nehmen ihre Plätze ein. Wir haben unsere natürlich schon längst und dürfen gespannt horchen, wohin die Reise am heutigen Tag geht.
Passend zum Nebel aus der Bühne, bleibt das Tempo erst einmal verhalten. Wenn Ron solo oder nur mit Harold spielt, kommt er ja relativ schnell 'zur Sache', aber heute gilt es natürlich, auch Ian Raum für seine eher fein gewebten Klang-Gebilde Raum zu lassen. Dem passt sich auch Harold an und spielt zum Einstieg merklich zurückhaltender. So lässt das Trio ganz langsam und kontrolliert seine Sequenzen und Strukturen aus den Flächen empor wachsen, ganz so wie Dinge nach und nach aus dem Nebel auftauchen, wenn man sich ihnen nähert. Ron kann sich auf auf diese Art, einen Titel zu entwickeln, einstellen: Seine Augen sind schon wieder halb geschlossen, er ist 'im Tunnel'. Die Verständigung funktioniert ohne Blickkontakt, ganz wie selbstverständlich ebnen Sequenzen und Impros dem Flow den Weg zum ersten Höhepunkt. Und genauso organisch und ohne Bruch findet man den Weg zurück 'in den Nebel' - wir haben quasi die erste Station unseres Weges passiert.
Auf diese erste Station folgen noch drei oder vier weitere, mit anderem Fokus und auch einmal gerne mit anderer Rollenverteilung. So steuert zum Beispiel Ron einmal die Flächen bei, das Ergebnis ist so leicht und sphärisch, dass man es fast vor sich in der Luft schweben sieht. Dann wird es wieder einmal flotter und forscher, und man fühlt sich an Rons Solo-Auftritte erinnert. In diesem Set stecken so viele Ideen und Facetten, dass man sie kaum alle beim ersten Mal alle erfassen und genießen kann.
Die mit Abstand flotteste Passage steht am Ende dieses Konzerts. Beinahe schon mit einer wilden Jagd setzen Ian, Harold und Ron einen Schlusspunkt unter das zweite Konzert des Tages. Rons Frage an Ian "Was fun?" beantwortet Ian mit einem typisch britischen "Close enough...". Hoffen wir einmal für Ian, dass dies nicht ganz so gemeint war - falls doch, hätte Ron für ihn die 'niederländische Höchststrafe' in petto, nämlich Hagelslag-Entzug morgen beim Frühstück!
A propos Nahrungsaufnahme: Die folgende große Pause bietet genug Zeit für ein Abendessen in der Umgebung, und Viele nutzen diese Option auch. Dementsprechend wird es im Foyer leerer und ruhiger. Uns zieht es aber wieder in den ersten Stock, um die 'musikalische Nahrungsaufnahme' fortzusetzen. Und siehe da, jetzt ist der kleine Saal noch einmal deutlich besser besucht als vorhin noch in der kleine Pause. Monika hat ihre Keyboard-Burg wieder angeworfen und schon bei den ersten Takten erkennt man den warmen, gefühlvollen Stil ihrer Titel wieder. Sie nimmt uns auf eine kleine emotionale Berg- und Talfahrt mit, und man könnte meinen, das ist ein kleines, musikalisches Tagebuch ihres eigenen Lebens. Die Anwesenden fühlen sich auf jeden Fall davon angesprochen: Wenige verlassen den Saal vorzeitig, auch nachdem Monika meint, sie wäre mit ihrem Set mittlerweile 'dreimal rum'. Aber auch wenn es nur ein kleines war, und die Anreise nicht ohne Probleme: Es hat sich für uns gelohnt, und Monika wird diesen Auftritt hoffentlich genauso positiv in Erinnerung behalten wie wir!
Auch mit einem kleinen Set vergeht nach drei Runden genug Zeit, dass die meisten ihr Abendessen mittlerweile beendet haben und zurück gekehrt sind. Das Foyer füllt sich wieder, so steigt auch der Geräuschpegel durch die vielen kleinen und großen Gespräche wieder an. Für mich bietet sich jetzt noch Gelegenheit, die eine oder andere Begrüßung nachzuholen, die ich bisher versäumt hatte. Aber so wie es bei jedem E-Day oder E-Live ist: Da sind so viele gute Bekannte, für die die Zeit dann doch nicht gereicht hat. Aber man wird sich in nicht allzu ferner Zeit an anderem Ort sehen und sprechen - und sei es wieder hier in Oirschot. Ron war für den Herbst ja in der komfortablen Situation, E-Live 2025 sowohl hier als auch im Eindhovener CKE veranstalten zu können. Eine deutliche Mehrheit hatte sich in einer Umfrage aber für 'De Stoelendans' entschieden.
Eine dritte Location hier in der 'Gegend' steht kurz im Mittelpunkt, bevor das erste Konzert nach der großen Pause beginnen kann: Seit ein paar Jahren hat das 'Dutch Masters' Festival seine Heimstatt im t'Tejaterke in Best gefunden. Es ist etwa halb so groß wie 'De Stolendans' und eignet sich sehr gut für etwas kleinere Events. Wie der Name bereits verrät, beschränkt sich das 'Dutch Masters' exklusiv auf Musiker und Bands aus den Niederlanden, und kann auch in diesem Jahr wieder eine bunte Mischung von bekannten Namen und solchen, die man vielleicht immer schon einmal kennen lernen wollte, vorweisen. Gerrit Vos, der das Festival zusammen mit Harald Gramberg organisiert, darf das diesjährige Lineup kurz präsentieren. Ron wird sich wieder mit um die Technik kümmern. Man darf also davon ausgehen, dass in der Hinsicht alles so problemlos funktionieren wird, wie es bisher heute in Oirschot lief.
Von so einer reibungslosen Organisation profitieren natürlich auch die auftretenden Musiker, die sich ganz auf ihren Auftritt konzentrieren können. Den Abend eröffnet "Beyond Berlin", seit diversen Jahren ein gemeinsames Projekt von Martin Peters und Rene de Bakker. Mit "Meandering Tear" haben sie gerade in diesem Monat ein neues Album vorgelegt, das auch im Mittelpunkt des folgenden Konzerts stehen wird.
Nun tragen "Beyond Berlin" ja nicht ohne Grund ihren Namen - ihre Musik ist zum einen fest verwurzelt in der von Sequenzen getragenen klassischen EM der 70er Jahre, zum anderen entwickeln das niederländische Duo sie seit Jahren auf seine eigene Art und Weise weiter. Hier bilden Martin Peters Sequenzen die Struktur, und Rene verleiht mit seinen Keyboards und Melodien den Titeln Farbe und Stimmung. Wie gut diese Synthese mittlerweile gelingt, das werden wir in der folgenden Stunde erleben.
Wuchtige Flächen eröffnen das Set und wecken bei mir die Assoziation eines Sonnenaufgangs. Woher die genau kommt, darüber muss ich auch einen Moment überlegen, aber dann ist die Verbindung da: Das erinnert mich an Pink Floyds "Shine on you Crazy Diamond"! Aber schon kurz darauf setzt die erste Sequenz ein und macht deutlich, wohin die Reise gehen soll. Die eben angedeutete 'Arbeitsteilung' kann man jetzt schon erkennen: Renes melodische Anteile geben den Titeln die Wärme und eröffnen eine neue Ebene. Aber auch Martin belässt es nicht bei der einfachen Sequenz, sie wird im Verlaufe des ersten Titels immer komplexer und vielschichtiger. Passend dazu verändern die Visuals sich auch nur langsam und kontinuierlich: Wir sehen zum Beispiel einen einsamen Baum im Wechsel von Tag und Nacht, oder Bilder aus einer verlassenen Werkhalle, in der in Form einer Blume neue Hoffnung wächst.
Einen solchen Spannungs- und Stimmungsbogen bauen Rene und Martin auch in den folgenden Tracks auf: Ist sie in Nummer zwei noch nachdenklich und melancholisch, passend zu dem umnachteten Baum, wird es in Folgetitel bombastisch, und daraus entwickelt sich der mit Abstand fröhlichste Titel des ganzen Sets. Auch wenn es danach nicht genau so weitergeht, war das die Stimmungswende: Der Titel-Track des neuen Albums klinkt sich dort ein und der Flow hält bis zum letzten Takt dieses Auftritts. Rene und Martin ernten den dafür wohl verdienten Beifall, und auch Ron scheint in der letzten Stunde mitgetragen und -gerissen worden zu sein: Von ihm kommt die Frage, beziehungsweise der Wunsch nach einer Zugabe, und er erntet Zustimmung im Saal. So kann "Beyond Berlin" den Nebel, in den die Bühne während des ganzen Auftritts getaucht war, noch ein paar Minuten weiter mit ihren Klängen füllen. Danach müssen wir aber wirklich wieder hinaus ins Foyer, denn für den letzten und Haupt-Act des Tages müssen noch einige Dinge vorbereitet werden.
Und in der Tat, als wir ohne auch nur eine Minute Verspätung wieder eingelassen werden, sind nicht nur die Aufbauten der Nachmittags-Konzerte verschwunden, sondern auch die von "Beyond Berlin". Ron steht auf einer weitgehend freigeräumten Bühne, nur noch mit den drei Setups des letzten Konzerts im Rücken. Also eine Situation, in der man sehr exponiert und hervorgehoben wirkt? Das schon, aber Ron wäre nicht Ron, wenn er nicht die Gelegenheit nutzen würde, einer ganz besonderen Person zu danken - nämlich seiner Frau Monique. Eigentlich wäre sie ja die Chefin - und die Seele - des Groove-Labels, und jedes Paket mit CDs, das in den letzten Jahren verschickt wurde, ist durch ihre Hände gegangen. Vielen lieben Dank, Monique, und bleibe uns noch lange erhalten!
Nun aber zum letzten Act des Tages, und wenn man die Namen Frick, Grosskopf und Quaeschning in einem Atemzug nennt, dann darf da gerne auch einmal der Begriff der 'Super-Group' fallen. So eine Zusammenarbeit von zwei Dritteln der aktuellen Besetzung von Tangerine Dream mit einem weiteren der 'ganz großen Namen' entsteht naturgemäß nicht spontan. Ron erzählt in seiner Einführung, dass er schon seit Jahren im Hintergrund darauf hin gewirkt hat, und die Bemühungen bis in die Zeit vor der Pandemie zurück reichen. Indes: Alle haben ihre eigenen Verpflichtungen und Pläne, und die sind vor ein paar Jahren eben durch Corona noch einmal gründlich durcheinander gewirbelt worden. So hat es denn bis ins Jahr 2025 gedauert. Bereits vor zwei Tagen haben die drei zusammen live im neu gegründeten Berliner Synthesizer-Museum gespielt, und die davon veröffentlichten Videos ließen bereits erahnen, worauf wir uns in den folgenden wer-weiß-schon-wieviel Minuten freuen dürfen. Die genaue Länge des letzten Konzerts wurde ja bereits auf dem Aushang offen gelassen...
Eine kleine Überraschung zu Anfang: Harald Grosskopf, im positiven Sinne der 'Senior' dieses Trios, fungiert auch als Sprecher und richtet auch noch ein paar Worte ans Publikum - auf Niederländisch, ein wenig mit Handy-Unterstützung. Gerade nach der Lektüre seiner Memoiren bewundere ich Harald dafür, wo er nach all den Höhen und Tiefen im Leben noch immer die Energie und Neugierde her nimmt.
Thorsten hat wie immer seine Gitarre auf der Bühne dabei, und die setzt er gleich zu Beginn ganz sanft ein, während Harald noch ein paar Lockerungsübungen am Schlagzeug macht - oder will er den Nebel vertreiben? Dann legt er aber wie in früheren Zeiten los, und Paul und Thorsten liefern für eine Weile den Background dafür. Wie man es von ihm kennt, legt Thorsten bei seinen Sounds Schicht auf Schicht und baut nach und nach einen Gegengewicht auf. Am Ende sind alle Drei auf den Rhythmus eingestiegen, so wie am Donnerstag in Berlin. Und das funktioniert so gut zusammen, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Was wir hier erleben, Drive und Feuer, ist einfach mitreißend.
Profis, wie sie sind, findet das Trio auch wieder den kontrollierten Ausstieg aus dem ersten Track. Ruppigere Töne stoßen uns aus dem bisherigen Flow, die repetitiven Visuals verstärken noch einmal den gespielten Rhythmus, und ich meine in diesem komplexen Gebilde schon erste Andeutungen von "So weit, so gut" zu erkennen - aber dafür ist es zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch etwas zu früh...
...denn jetzt wird erst einmal etwas 'abgetanzt'. Die Sequenz in Titel Nummer drei hat schon beinahe Samba-Qualitäten, und Harald macht seine Beats passend dazu noch einmal eine Ecke wuchtiger. Der Rhythmus ist so ansteckend, dass auch Paul seine Füße nicht mehr still halten kann. Bisher hat er sehr kontrolliert gewirkt, und das einzige 'rhythmische', was man bei ihm sehen konnte, war die bei ihm schon öfters gesehene Technik, wie er mit beiden Händen abwechselnd in die Tasten greift.
Nach so einem Rhythmus-Gewitter wirken die Flächen im nächsten Track schon fast wie eine kalte Dusche. Und es kommt das, was sich vorhin schon angedeutet hatte: Eine 'Heavy Remix' Version von Haralds Allzeit-Klassiker "So weit, so gut". Auch wenn uns EM-Fans die Original-Version von 1980 als Titelmelodie von "Schwingungen" am vertrautesten ist, so hat sich Harald über die Jahre nie gescheut, diesen Titel immer wieder auf zeitgemäße Weise neu zu interpretieren.
"So weit, so gut" könnte man auch als Fazit des bisher Gespielten interpretieren. Denn Harald tritt wieder nach vorne und ruft uns Allen ein "Tot ziens!" zu. Aber das sollte es doch nicht schon gewesen sein? Ron fordert Thorsten auf, noch etwas zu spielen, ansonsten würde er zu Singen anfangen...und so eine massive Drohung duldet natürlich keinen Widerspruch. Und selbstverständlich ist da noch genug Material, um die Party auf der Bühne ganz leichtfüßig noch eine Weile weiter laufen zu lassen - nur die Visuals haben mittlerweile ihre 'Endstation' erreicht. Alle drei wirbeln noch einmal an ihren Instrumenten, und Thorstens Part klingt passagenweise so wie auf dem Diode-Festival im vergangenen Jahr - eine Set, das ich immer wieder gerne höre.
Dann ist es aber doch an der Zeit für die letzte Verbeugung des Abends, und - auch mittlerweile ein Ritual bei Thorsten - für das Selfie mit dem Publikum im Rücken. Ron bleibt dann nur noch die Aufgabe, sich bei allen Aktiven des Tages, egal ob vor oder hinter der Bühne, sich zu bedanken, und ebenso bei den Besuchern für das zahlreiche Erscheinen und das Aushalten bis zur letzten Note. Man wird sich im Herbst wieder hier im "De Stoelendans" sehen, wenn "E-Live 2025" steigen wird.
Ich lasse auf der Rückfahrt ein wenig den Tag Revue passieren, und frage mich, wo Ron immer wieder die Kraft her nimmt, gleich zwei Mal im Jahr ein solches Event auf die Beine zu stellen. Von dieser Stelle aus wünschen wir ihm, das sie ihm nicht so schnell ausgeht. Denn eine EM-Szene ohne Ron und ohne E-Live oder E-Day, das ist im Moment schwer vorzustellen. Tot ziens, liefste Ron, en dankjewel (Dubbele Mersi)!
Alfred Arnold