Zwei Jahre hat Stefan Erbe vergehen lassen, um der Geschichte um die künstliche Intelligenz GENE ein neues Kapitel hinzuzufügen. Und so wie es immer bei seinen Projekten ist: Man erkennt 'Metamorphosys' gleich bei den ersten Takten als Erbe-Album, und doch ist wieder vieles ganz anders als bei dem 2023er-Vorgänger.
Wer eine Fortsetzung der Geschichte um GENE erwartet, wie sie einen mit künstlichen Lebensformen beladenen Raumfrachter steuert und eine Entscheidung treffen muss, bekommt diesen Wunsch auf 'Metamorphosys' nicht erfüllt. Das Album kommt im Gegensatz zu 'Genesys 2023' ohne Dialoge und eine explizite Story aus, und ist wieder ein reines Instrumental- und Musik-Album. Das läßt mehr Raum für verschiedene Interpretationen. Der Begleittext und die Titel geben aber einen Hinweis: Es geht um das Streben nach Perfektion, beziehungsweise die Imperfektion, mit der man leben muß. Viele von uns streben auf irgendeinem Gebiet nach Perfektion, und hadern damit, sie nie zu erreichen. Aber wann ist eigentlich etwas 'perfekt'? Und wenn ein künstliches Wesen sich seiner selbst bewußt wäre, in welcher Hinsicht würde es sich als 'unvollständig' betrachten?
Wenn ein Musiker zu einem Album anmerkt, dass dieses alle Stile zeigt, die er mag und alle Elemente aufweist, mit denen er gerne arbeitet, ist ein gewisser Stilmix vorprogrammiert. In manchen Fällen ist eine solche Mischung eher unerquicklich. Bei „Love“ von Wellengärtner empfinde ich das anders. Das Album ist auch stilistisch gar nicht so divers. Da manche Klänge mehrfach auftauchen oder ähnlich sind, und der Musiker Jörg Jankowitsch auch derselbe und sich selbst treu bleibt, passt alles zusammen.
Manchmal genügen ihm ganz wenige Stilmittel (z. B. bei „Running Arpeggios“) oder auch ein einziges Element, um wie bei „Fluting Mellotron“ die drei Minuten des Stückes zu füllen. Und zwar ohne dass der Track eine bloße Demonstration des Instrumentes Mellotron würde.
Naturgemäß wirken die einzelnen Stücke bei einem solchen Konzept etwas reduziert, zumindest stellenweise. Das wiederum läßt den Aufbau der Musikstücke deutlich werden. Der Wellengärtner ist gut darin, Atmosphären zu schaffen. Das wird besonders bei „Ambient Soundscape“ und „Loops’n’Strings“ deutlich.
Die Titel geben Jörgs Worten nach ihre wesentlichen stilistischen Elemente wieder. Bei „Strange Beauty“ kann ich das allerdings nicht nachvollziehen, jedenfalls was die erste Hälfte des Titels angeht. Denn „strange“, also sonderbar, fremd oder merkwürdig ist diese Musik ganz und gar nicht. Sondern einfach nur wunderschön, wie ein Schweben auf Wolken oder ein Spaziergang auf dem Regenbogen.
Als direkten Kontrast dazu empfinde ich im nachfolgenden „Dark Atmosphere“ das Dunkle in den Klängen viel stärker als es vielleicht der Fall wäre, hätte dieser Track das Album eröffnet. Es ist jedenfalls kein düsteres Stück, sondern entwickelt durchaus seine schöne und positive Seite.
Einen deutlichen Schwachpunkt hat für mich das Album „Love“ dennoch. Die nicht ganz zwei Minuten dauernde „Contemplative Introduction“ zu Beginn wirkt auf mich recht ziellos und endet sehr abrupt. Da ist „Ambient Soundscape“ deutlich besser als Opener geeignet. Das „Sunny Finale“ ist dagegen ganz hübsch als „Rausschmeißer“ und besser gelungen. Manchmal genügt eben auch eine einzige Minute.
Das soll die Freude an „Love“ jedoch nicht schmälern, es sind nicht einmal zwei von gut 76 Minuten, die ich hier bemängele. Insgesamt finde ich das jüngste Werk von Wellengärtner sehr gelungen.
Noch kein Jahr ist vergangen, seit „Happy Days Are Here To Stay“ erschienen ist, da veröffentlicht Stephen Parsick das nächste [‘ramp]-Album mit dem schönen Titel „arp-en-ciel“.
Eigentlich ist „arp-en-ciel“ nicht das neueste Album von [‘ramp], denn es sollte schon vor einem Jahr erscheinen, als plötzlich Klaus Schulze verstarb. Stephen Parsick, der in seinem musikalischen Schaffen stark von Klaus Schulze beeinflusst wurde, entschloss sich, „arp-en-ciel“ zu verschieben, um nicht auf den Zug der vielen KS-Tributes aufzuspringen. Stattdessen kam zunächst „Happy Days Are Here To Stay“ an die Öffentlichkeit. Ich kann diesen Entschluss bestens nachvollziehen, denn die Einflüsse sind deutlich auszumachen. Es ist aber eben kein KS-Tribute, sondern Parsicks Werk als [‘ramp].
In der Chemie wird viel experimentiert, und nicht immer kommt bei den Experimenten das heraus, was man erwartet - mal sind diese unerwarteten Resultate nutzlos, aber ab und an führen sie auch zu neuen Erkenntnissen.
Ob das neueste Album von 'Computerchemist' Dave Pearson eine ähnliche Entstehungsgeschichte hatte, wissen wir natürlich nicht, aber überraschend war es schon, als "Green Twilight" nur wenige Wochen nach seinem Vorgänger veröffentlicht wurde. Dabei ist Daves neues Album alles andere als eine einfache Fortsetzung: Harte Fans der Berliner Schule, die von 'Mysterious Cave of Eternal Theta' begeistert waren, sollten vor dem Erwerb erst einmal probe hören. Denn direkt zum Einstieg auf 'Green Twilight' wandelt Dave wieder auf ähnlichen Pfaden wie auch schon zum Beispiel auf 'That which Prevails'. E-Gitarre und Schlagzeug versetzen uns in den Grenzbereich zwischen Elektronik und Progressive Rock, den Tangerine Dream schon Ende der 70er durchwandelt haben.
Schaltet man nicht sofort wieder ab und gibt auch den restlichen Titeln eine Chance, so kann man aber erkennen, dass auch hier die Berliner Schule das Konzept vorgab - sowohl was die (standesgemäße) Länge der sechs Tracks angeht, als auch das musikalische Grundgerüst. Sequenzen lassen sich eben nicht nur mit dem (elektronischen) Sequenzer machen, das haben ja auch schon andere große Musiker in der Vergangenheit demonstriert.
Auch die Reihenfolge der Titel auf dem Album scheint alles andere als ein Zufallsprodukt zu sein: besonders anhand der beiden Piano-dominierten Stücke lassen sich eine gewisse Symmetrie und ein Plan erkennen.
Auf 'Green Twilight' führt Dave Pearson wieder einmal vor, dass er in mehreren Genres beheimatet ist und sie miteinander zu kombinieren versteht. Der Titel "Green Twilight" hat also durchaus seine Berechtigung, auch wenn da
s Ergebnis alles andere als zwielichtig ist. Wer dieses Album mit offenen Ohren und Verstand hört, kann wieder einmal entdecken, wie vielfältig die Berliner Schule sich doch als Reagenz einsetzen lässt. Wir sind gespannt, welche Experimente Dave Pearson als nächste in seinen ungarischen Laboren gelingen werden!
Begegnungen sind im Leben essenziell - sie geben Denkanstöße, versichern uns unserer Rolle in der Gesellschaft und liefern Feedback zu unserem eigenen Handeln und Reden. Die Lockdowns der letzten Jahre haben vielen von uns vor Augen geführt, was ohne sie im Leben fehlt.
In noch stärkerem Masse gilt dies für Künstler, die aus Begegnungen Inspiration ziehen können. Bernd-Michael Land hat 'Begegnungen' gleich zum Namen seines neuesten Werkes gemacht. Darauf sticht als Titel 'Ma ven wa' hervor: Der kamerunische Sänger Amourel Marius Tsogo spricht in seiner Muttersprache das aus, was Begegnungen für Bernd bedeuten - und das mit ganz sparsamer Instrumentierung. Dankenswerterweise müssen wir nicht das Internet für eine Übersetzung bemühen, sie ist in dem - wie immer mit viel Mühe und Aufwand gestalteten - Booklet abgedruckt. Aber auch ohne den Text zu verstehen, kann man diesen Track einfach auf sich wirken lassen, denn Tsogos Sprechweise entfaltet ihre ganz eigene Rhythmik und Qualität.
Wo wir beim Thema 'Mühe' sind - wie Bernds frühere Alben auch, ist 'Begegnungen' nicht zum Nebenher-Konsumieren gemacht. Es will bewusst und konzentriert gehört werden, und belohnt uns dafür in jedem Titel mit einer ganz eigenen, und meist unerwarteten akustischen Begegnung: Da wechseln minimalistische Titel, in denen Bernd einzelne elektronische Sounds in ihrer Reinheit (und Rohheit) für sich stehen lässt, mit sanften versöhnlichen Melodien ab. Dabei ist Bernd immer authentisch und niemals darauf aus, etwas schon einmal da Gewesenes zu reproduzieren.
Lässt man sich darauf ein, ist 'Begegnungen' ein Album, das im Gedächtnis haften bleibt, und zum Nachdenken über Musik an sich anregt. In der Art, wie sich ein Titel an den nächsten reiht, erinnert es mich an Bernd-Michael Lands Auftritt auf dem diesjährigen E-Day in Eindhoven. Nach wie vor geht er seinen eigenen Weg, bleibt dabei aber stets offen für Neues. Wir sind gespannt, zu welchen Begegnungen Bernd seine Wege in Zukunft führen werden!
Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.