Im Spätsommer 2022 ist Mark Shreeve gestorben. Mark war einer der Musiker, die die analoge Technik in der Elektronikmusik hochgehalten hat und mit in seiner Musik unsterblich machte. Das hat er seit den 1980er Jahren unter seinem eigenen Namen, in den Formationen Redshift und ARC und in gemeinsamen Produktionen mit anderen Künstlern unermüdlich getan.
Man mag von Tribute-Alben halten was man will – „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ ist unbedingt empfehlenswert, aus verschiedensten Gründen. Sechzehn Gründe sind fein säuberlich in der Trackliste des Albums aufgeführt. Ein anderer Grund ist das unglaublich umfassende und umfangreiche Booklet: 43 Seiten, die nicht einfach „nur“ bebildert sind, findet man nicht alle Tage.
Dass die Erlöse aus den Verkäufen von „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ der Krebsforschung zugute kommen, ist ein weiterer gewichtiger Grund, ein wenig Geld in die Anschaffung zu investieren. Das Album ist als Download über die Plattform Bandcamp zu beziehen. Soweit mir bekannt ist, gibt es dieses Tribute nicht als CD. Das ist bei gut zweieinhalb Stunden Laufzeit nicht überraschend, doch die schiere Menge an guter Musik stellt ebenfalls einen Kaufgrund dar.
Ungewöhnlich an diesem Tribute-Album ist, dass Mark Shreeve selber Teil davon ist: Je ein titel von Redshift und ARC sowie ein Solotrack sind auf diesem wunderbaren Sampler zu finden. Und einige, vor allem im Bereich der Berliner Schule bekannte Namen sind vertreten: AirSculpture, [‘ramp], Radio Massacre International, Ian Boddy, um nur wenige zu nennen.
Initiiert und vermutlich den größten Anteil am Zustandekommen des Albums hat Marks Bruder Julian, der auch langjähriger musikalischer Partner war. Julian hat sehr, sehr viel Energie und Herzblut in das Album investiert. Das spürt man deutlich bei der Lektüre des Booklets. Es enthält umfangreiche Erinnerungen von Julian Shreeve mit dem gesamten Werdegang des Musikers Mark Shreeve; die komplette Diskographie, alle Liveauftritte werden beschrieben, aufgelistet und mit interessanten Details und persönlichen Anmerkungen aufgewertet. Mir war z. B. neu, dass Mark Shreeve an mehreren Songs von Samantha Fox beteiligt war, auch als Komponist und Keyboarder ihres Hits „Touch Me (I Want Your Body)“! Ein Interview ist im Booklet ebenso nachzulesen wie Erinnerungen und Ehrungen von Familie, Freunden und Musikern. Zu allen Tracks wurden einige Sätze verfasst, und an Fotos mangelt es auch nicht.
Sämtliche Musikstücke sind, wenn nicht besonders für dieses Tribute komponiert und eingespielt, so doch zumindest nie zuvor veröffentlicht. Letzteres gilt natürlich für die Stücke, die von Mark selbst sind. Die einzelnen Tracks sind entweder in Anlehnung an Marks Stil bzw. die von ihm kreierten und gerne eingesetzten Sounds oder in Gedanken an Mark Shreeve als Person, seinen Charakter oder Vorlieben in der Elektronikmusik entstanden. Hier wird klar, wie sehr Marks Schaffen andere Musiker inspiriert und beeinflusst und die Berliner Schule insgesamt geprägt hat. Der Track „To The Bitter End“ erinnert z. B. deutlich an das [‘ramp]-Album aus dem Jahr 2011, an dem Mark beteiligt war.
Wavestar II schaffen es, den unverkennbaren rockigen Stil Marks aus den 1980er Jahren, beispielsweise vom Album „Crash Head“, genau zu treffen. Sehr ungewöhnliche Klänge bieten die Tracks „In Transience“ von Jasun Martz und „Anemone“ von Radio Massacre International.
Die meisten Musikstücke bedienen ganz klar die Berliner Schule. Der Titel von David Wright ist da stilistisch ein „Ausreißer“, was keineswegs negativ auffällt. Mark Shreeves eigener musikalischer Kosmos ist ebenso vielfältig wie dieses Album.
Die Titel von Redshift, ARC und Mark Shreeve solo sind am Anfang, als 11. Track und am Ende von „BERLIN…“ gesetzt. Dadurch bilden sie die perfekte Klammer für die anderen Stücke, die sich dazwischen einfügen. Es wird ein Bogen über alle dazugehörenden Stile gespannt, der bestens funktioniert. Keinen Titel empfinde ich als schwach oder unpassend. Chuck Van Zyl und Ode (drei Viertel von Node) bescheren dem Hörer und der Hörerin ebenso Berliner Schule auf hohem Niveau wie die fünf Recken aus dem Hause Manikin (The 5th Manikin: Bas Broekhuis, Detlef Keller, Michael Menze, Frank Rothe und Mario Schönwälder).
Mit Ashok Prema gibt es einen Ausflug in ambientere Klänge, und AirSculpture wartet mit einer Melodie auf, die im Gedächtnis bleibt. Eine großartige Entscheidung von Julian Shreeve war, die drei Titel „Quenzer“, „Fractured“ und „The Battle Files“ aufzunehmen. „Fractured“ beispielsweise komplettiert das ARC-Konzert in Philadelphia, das mit dem Album „Church“ veröffentlicht wurde, aber nicht in Gänze auf die CD passte. Weitere Musik als Solokünstler und als Redshift zu hören, ist ohnehin immer willkommen.
Auch die anderen Tracks des Tribute-Albums von den hier nicht eigens genannten Musikern sind absolut hörenswert und machen „BERLIN – A Tribute Album For Mark Shreeve“ zu einem wahren Schatz, der unbedingt gehoben werden sollte. – Wie gesagt, es gibt zahlreiche Gründe, das Album in die persönliche Sammlung Elektronischer Musik aufzunehmen.
Andreas Pawlowski
https://markshreeve-tributealbum.bandcamp.com/album/berlin-a-tribute-album-for-mark-shreeve