
Obwohl die elektronische Musik in ihrer Geschichte immer wieder als geistlose Maschinenmusik verunglimpft worden ist, ist es auch bei ihr immer noch der kreative Mensch vor dem Keyboard, der die Idee zu dem musikalischen Konzept hatte, das einem Album zu Grunde liegt. Und die Selbst-Reflexion über diesen ist die Grundidee von Bernd-Michael Lands neuem Album "Humano:Id". Wie viel "Mensch" steckt noch in der Musik, die man schafft, oder wie viel von der Technik, derer man sich dabei bedient, hat doch schon vom eigenen Ich Besitz ergriffen?
Die Antwort kann keine einfache sein, dafür ist das Verhältnis von Mensch und Maschine ein zu kompliziertes, auch und gerade in der elektronischen Musik. Genauso vielschichtig und variabel ist das, was auf "Humano:Id" geboten wird: Selbstverständlich gibt es die eher experimentellen Titel, für die Bernd-Michael Land bekannt ist und wo man meinen könnte, eine der vielen Klangmaschinen in seinem riesigen Studio wollte einen Einblick in ihre Eingeweide geben. Aber da sind auch sphärisch/melodische und von Sequenzen getragene Tracks, die in die Zeit zurück verweisen, wo der EM-Musiker wirklich noch jeden einzelnen Klang "per Hand" erzeugen musste.
Auf "Humano:Id" lotet Bernd-Michael Land die menschliche Existenz mit all ihren Facetten und Widersprüchen aus. Anspielungen darauf finden sich in den Namen der Titel und dem - wie immer mit viel Liebe und Aufwand gestalteten - Booklet zur CD: Der Mensch erschafft zum Beispiel nicht nur, er zerstört leider auch. Wie auch schon seine Vorgänger ist "Humano:Id" kein einfaches Album zum Nebenbei-Hören, sondern ein Anstoß zur bewussten Beschäftigung mit einem Thema - und damit auch ein Statement gegen die Art, wie Musik heutzutage im Mainstream konsumiert wird.
Im Begleittext erwähnt Bernd, dass er mittlerweile auf die 70 zugeht - ein Alter, in dem sich Andere zur Ruhe setzen würden. Erfreulich, dass er immer noch den Antrieb hat, mit solchen Werken bewusst gegen den Strom zu schwimmen. Wir wünschen ihm von dieser Stelle aus die Energie, dass das noch eine Weile so bleibt!
https://bernd-michael-land.com/
Alfred Arnold

State Azure aus England ist mittlerweile nicht zu übersehen, wenn es sich um die interessantesten Electronic-Musiker der Gegenwart handelt. Sein aktuelles Album besteht aus nur einem einzelnen Track von über 99 Minuten Länge, der durch Inspiration von früheren Brian Eno Werken entstanden ist. Der Mastermind hinter dem Pseudonym State Azure hat sein ein paar Monaten ein neues Studio südlich von London, sowie neues Equipment. Atmosphäre ist, wie der Künstler sagt, nicht nur in seiner Musik wichtig, auch seine Working Area soll davon profitieren. Schön für uns, die wir an den neuen Klangergüssen teilnehmen dürfen. Daher wundert es nicht, dass der Sound-Workaholic fast Tag und Nacht im Studio arbeitet und ständig neue Veröffentlichungen präsentiert. Seine Kreativität scheint unaufhaltsam zu sein.
Vielleicht ist das hier das falsche Klientel, doch Troels Hammer ist Keyboarder und einfach zu gut um nicht mit ein paar Zeilen gewürdigt zu werden. Der 58jährige Däne hat jetzt sein 4. Album in der Kategorie Ambient veröffentlicht und wie war das nochmal mit dem reifen Wein? Dieses Album dürfte wohl sein Bestes sein! Es startet mit dem Titel „Vendetta“. Bei diesem Song komme ich mir vor wie Aladin und die Wunderlampe - denn es beginnt geheimnisvoll, hypnotisch und zauberhaft mit Flächensound und Pianotupfer - bis schließlich der Dschinn aufsteigt und der Song jetzt richtig Fahrt aufnimmt und der Dschinn sich immer mächtiger entwickelt und zum Reggae tanzt und schließlich noch zur Leadgitarre greift! Der Track hat nun das Potential die ganze Welt zu umarmen. Was für ein Hammer! Dennoch liegt die Stärke von Troels Hammer in den leisen, feinen Klängen wie im Titelstück „House Of Memories“. Er glänzt mit einer eigenwilligen Verschmelzung aus Electronic, Jazz und Chillout. Jeder Song ist eine Wundertüte, jeder Song ein Prachtstück. Diverse Gastmusiker verdichten die Kunstwerke an den entsprechenden Stellen wohldosiert mit Saxophon, Violine, Handpan oder Schlagzeug. Diese Musik ist warm und menschlich und manchmal verziert mit einer atmosphärisch-femininen Gesangseinlage. Mutig experimentiert der Künstler in dem obskuren Track „Memorial Mountains“. Unterm Strich ist das gesamte Album ein kleines, feines Meisterwerk - unaufdringlich, geschmackvoll - ein Querschnitt moderner, anspruchsvoller Weltmusik, Electronic und Chillout.
Es existieren in der EM-Szene Veröffentlichungen, bei denen man als Hörer denkt, dass sie vielleicht doch besser im Heimstudio des Musikers verblieben wären. Und es gibt die CDs, bei denen man froh ist, dass sie doch noch das Ohr des EM-Liebhabers erreichen.