Stan Dart - Retrospective

RetrospectiveIn den letzten 10 Jahren hat Stan Dart eine Menge hervorragender Alben veröffentlicht. Vielleicht fehlte der kommerzielle Erfolg (was ich mir beim besten Willen nicht erklären kann) denn die elektronische Musik von Stan Dart erfüllt alle Ansprüche, die ein Liebhaber dieses Genres sich wünscht. Wie dem auch sei, das neue Album „Retrospective“ ist kein „Best of“, sondern offensichtlich eine Ansammlung von Tracks, die bisher in das Gefüge eines Konzeptalbums nicht passten. Gleich zu Beginn startet Stan Dart mit dem brandneuen gleichnamigen Titeltrack, der super abgeht – wie eine Rakete – aber atmosphärisch bleibt. Die altbewährte Rezeptur von Stan Dart zeigt sich auch auf diesem Album: Düster, erdig und melodisch. Die hier vorhandenen Instrumentals halten teilweise nicht ganz das Niveau der epischen Instrumentalsongs vom letzten, großartigen Album „Seaside“. Dafür gibt’s ein paar Überraschungen, wie z.B. ein markantes Cello auf „Supernova“ oder das Arrangement für „Berlin“ - sehr hörenswert. Stan Darts Ambitionen für originäre Spacemusic schimmern immer wieder durch.

Die Highlights auf „Retrospective“ allerdings sind für mich die diversen Titel mit Gesang. Allen voran „Nichts anderes zählt“. Eine absolut gelungene Kombination aus deutschsprachigem Liedermachergesang und fulminantem Klangteppich. Das gab's noch nie ... der Song geht mir nicht mehr aus den Ohren! Dann gibt es eine neue Version von „Via Laboriosa“ mit Sängerin Petra Bonmassar aus dem Album „Ecclesia“. Diese großartige, chillige Version könnte sogar die Bessere sein. Ebenfalls hammerstark der Track „Regarded as Absent“ mit Sängerin Olga W.

Was bei SCHILLER bestens funktioniert, sollte auch beim Österreicher Stan Dart unbedingt auf Erfolg stoßen: Die Kombination von düsteren Instrumentals und anspruchsvoller Pop-Electronic mit Gesang. Vielleicht klappt's ja bei diesem Album?

http://www.stan-dart.com/

Will Lücken

Computerchemist - That which Prevails

ta150

Neues aus dem ungarischen Elektronik-Labor: Gleich zum Jahresanfang meldet 'Computerchemist' Dave Pearson sich mit einem neuen Album zurück. "Das was vorherrscht", ist der vielsagende Titel, und die Credits an die bekannten Berliner Elektronik-Pioniere auf dem Cover kommt nicht von ungefähr.

Wer hier aber lupenrein dahinfließende Sequenzen a la 'Rubycon', oder melodisch-geschmeidiges Material im Stile der 80er erwartet, der liegt nicht ganz richtig. Die Mehrzahl der Tracks erinnern an die späten 70er-Jahre, als Tangerine Dream begann, nach neuen Musikformen zu suchen und dabei auch progressiv-rockige Elemente auf den Alben zuließ.

Dabei ist dieses Album kein einfaches 'Tribute' an diese Ära, der Mix ist individuell und zitiert die Sounds aus der Zeit, ohne als simple Kopie daherzukommen. Als "Erholung" von den gitarrenlastigeren Tracks stellt Dave auch mal einen Titel dazwischen, in dem der Sequenzer dominiert, und glättet die Wogen ein wenig.

Wer schon seinerzeit bei 'Cyclone' oder 'Force Majeure' nicht spontan abgeschaltet hat, der sollte sich "That with Prevails" einmal genauer anhören, wenn es Anfang Februar erscheint. Elektronik und Krautrock gehen noch immer zusammen, ganz besonders wenn wie hier die Mischung stimmt.

https://computerchemist.bandcamp.com

Alfred Arnold

Tonal Assembly - Lost and found in imaginary Landscapes

ta150Der Niederländer Taede Smedes alias Tonal Assembly wirft mit seinem aktuellen Erstlingsalbum einen echten Kracher ins weite Rund der 2019er Veröffentlichungen. Seine Stücke strotzen dabei vor guter Ideen, knackigem Sound und verträumten Arpeggien und schaffen etwas, was kaum einem vergangenem Neuling so recht gelingen konnte. Sein Sound klingt individuell, einprägsam und ist exzellent produziert und man mag kaum glauben, dass Taedes Debut-Silbering tatsächlich aus der Hand eines Newcomers entwachsen ist, denn auch seine Kompositionsarimethik vermengt Eingängiges und Komplexes zu einem der besten Alben 2019. Es bleibt zu vermuten, dass auch das Jahr 2020 unter einem guten Stern für weitere tonale Zusammenstellungen stehen werden. 

https://tonalassembly.bandcamp.com

Stefan Erbe

David Helpling - Rune

DavidHelplingNach dem erfolgreichen "Ambient-Album des Jahres" 2013 („Found“ von Helpling & Jenkins) war es lange Zeit ruhig um den Ausnahmegitarristen David Helpling. Auf seinem neuesten Solowerk nimmt er den Hörer mit auf einen Tauchgang in den Tiefen des Stillen Ozeans. Seine Musik fängt da an, wo andere enden: am Chillout-Strand.
Der in San Diego lebende Künstler hat eine tiefe und lebenslange Verbindung zur Kraft und Faszination des Meeres. Zum Album sagt er: „Ich bin ein paar Blocks vom Pazifik entfernt aufgewachsen und habe meine ganze Zeit am Meer und in der Nähe verbracht. Es fühlte sich sehr natürlich an, den Mythos der nordischen Runen-Schriftzeichen mit dem wahren Klang des Ozeans zu verbinden“. Wie schon gesagt, die atmosphärische Musik ist wie ein Tauchgang. In einigen Tracks „schnorchelt“ man noch an der Oberfläche - bis es dann immer tiefer geht und man versinkt in den magischen Klängen seiner klassischen Electric-Whirlgitarre. Ich bin erstaunt, dass das gesamte Album ohne den Einsatz von Keyboards oder computergestützten Klangerzeugern entstanden sein soll. Das sphärische Gitarrenspiel von David Helpling entführt den Hörer in immer tieferen Schichten des Ozeans. Ich weiß, dass nicht viele Menschen Tauchen als ihr Hobby bezeichnen. Genauso verhält es sich mit dieser Musik. Wer sich jedoch darauf einlassen kann wird ein famoses Klangwunder erleben!

Video: https://www.youtube.com/watch?v=xRnJvVRUxMI
https://spottedpeccary.com/shop/rune/


Will Lücken

Giant Skeletons - Warden of the Humming Skies

gswarden150"Was eine narrative Emotionsachterbahnfahrt" waren meine ersten Gedanken, nachdem ich die 6 Tracks plus 5 Bonis des Albums von Norbert Walser alias Giant Skeletons durchlebt hatte. Selten verzeichnete das Konsumieren eines Tonträger soviele Überraschungsmomente in meinen Suggestivmomenten wie dieses hier. Beinahe an jeder tonalen Ecke lauert eine musikalische Kehrtwende, ein kontrovers komponierter Kontrastpunkt oder ein sonstwie gearteter Stimmungswechsel, der diesen Longplayer als Einschlaf-Hilfe völlig unbrauchbar macht. Um so mehr eignet er sich als Spiegelbild emotionaler Gefühls-Geschichtenerzählung, der nahezu alles an synthetisch und nicht synthetisch erzeugter Tonfolgen, Sounds und Klangerzeugungen wiedergibt, die man so in der Breite wohl noch nicht angeboten bekommen hat. Mal lässig, mal ambient, dann wieder dub-gestepped oder gitarrisch faunal. Keine Stilrichtung lässt Norbert ignoriert und verschirmt seine obskure Soundwelt unter einem großen Dach der cineastischen Erzählkunst. Egal auch wieviele Kanten das Album hat, es gibt keine geografische Form die es exakt beschreiben kann. Bunt, lebhaft und intensiv, trotz einfarbigem Coverbild.

https://giantskeletons.bandcamp.com/album/warden-of-the-humming-skies

Stefan Erbe

Über Empulsiv

Empulsiv wurde 2011 als Webzine für (traditionelle) elektronische Musik gegründet. Es berichtete über ein Jahrzehnt von musikalischen Events und über Veröffentlichungen, präsentierte Interviews und Neuigkeiten aus der Szene. Ende 2022 wurde das Webzine eingestellt. Es wird nun als Infoportal mit Eventkalendar, Linksammlung und Archiv fortgeführt, so dass Neues sowies Vergangenes weiterhin gefunden werden kann.