Nehmen wir einmal an, in ein paar Jahren ist die Covid-Pandemie Geschichte und das Leben wieder einigermaßen in seine normalen Bahnen zurückgekehrt. An was werden wir uns aus dieser Zeit besonders erinnern? In der EM-Szene sicher an diejenigen, die nicht die Flinte ins Korn geworfen haben und das möglich gemacht haben, was gerade eben noch möglich war. Martin Stürtzer aus Wuppertal wird für mich auf dieser Liste sicher ganz weit oben stehen. Nicht nur hat er Dutzende "Stay at Home" Konzerte aus seinem heimischen Studio in die Welt gestreamt, auch besitzt er den Mut, in einer Zeit anziehender Fallzahlen das im Frühjahr ausgefallene und auf Oktober verschobene "Phobos XI" durchzuziehen. Recht früh schon musste er von der Sophienkirche in die größere Immanuelskirche umziehen, um ein den sich ständig verschärfenden Richtlinien genügendes Hygiene-Konzept umsetzen zu können. Zu dem amüsanteren Anekdoten dabei gehört die Ankündigung, das vor zehn Jahren erlassene Gasmasken-Verbot aufzuheben - die durchgängig bestehende Maskenpflicht lässt sich mit so einer 'Bedeckung' aber ohnehin nicht erfüllen.
Ein gutes halbes Jahr ist es her, dass ich zum letzten Mal Live-Musik gesehen habe, dann kam der Corona-Lockdown und eine Veranstaltung nach der anderen wurde abgesagt oder verschoben. Auch für Detlef Keller wurde es in diesen Monaten zur traurigen Routine, Donnerstag abends in seiner Radio-Sendung "Ad Libitum" wieder mal nur verkünden zu können, was alles nicht stattfindet.
Im letzten Jahr hatte sich das Solinger Künstlerpack eine kleine Auszeit genommen - ausnahmsweise einmal keines jener Festivals, die elektronische Musik mit Kunstausstellungen verbinden. Auch das Doppelkonzert mit Michael Brückner und Sequentia Legenda im letzten Herbst musste ich auslassen, man kann leider nicht an einem Abend gleichzeitig an zwei Orten sein. So wurde 2019 zu einem eher ungewöhnlichen Jahre, in denen mich der Weg nicht zu den Güterhallen am Solinger Westpark geführt hat. So wie der Zufall spielt, führt mich aber in 2020 der erste Weg ausgerechnet zu einem Konzert genau an diesen Ort - "Space" heißt das Motto in den Solinger Güterhallen. Wie steht es um sie? Sie sind immer noch da, aber weil gerade in der Kunst Veränderung die einzige Konstante ist, gestalten sie sich immer neu: Hier und dort hat eine Galerie ihren Namen geändert, und die draußen ausgestellten Kunstwerke, die man vielleicht bewusst der Witterung und damit dem Verfall aussetzt, sind andere. Es ist eben ein Ort für Kreative Köpfe, wo immer neues ausprobiert wird.
Als die Nachricht im letzten Jahr erschien, Christopher von Deylen startet eine Solo-Tournee in 2020, hat sicherlich so mancher Schiller-Fan gerätselt, ob es jetzt eine reine Einlassmusik-Show oder eine Club-Abtanzparty wird.
Ich habe CvD im Kölner Club „Bahnhof Ehrenfeld“ gesehen, mit mir ca. 500 stehende Gäste und beim Blick auf die spartanisch ausgestattete Bühne ahnte wirklich niemand was da jetzt auf uns zukommt. Nach dem Motto „was kümmert mich die Vergangenheit“ begegnen wir einen äußerst redefreudigen Christopher von Deylen. Sympathisch wie und je erklärt der dem Publikum seine Ambitionen für das Klavierspiel - und was man damit alles so machen kann. Die Kombination Klavier und Electronic-Equipment beherrscht der Künstler meisterlich. Es entsteht ein Klangspektrum von unvorstellbarer Weite und Größe. Jeder Song ist völlig neu. Jeder Song entwickelt eine hypnotische Magie. Der Meister webt dräuende Klangteppiche, streut metallisch-harte Rhythmen hinzu und verziert mit melodischen Hooklines auf dem Klavier eine bombastische Soundlandschaft, die immer weiter in entfernte Dimensionen driftet. Sozusagen malerische „Einlassmusik“ mit Biss. Um der Atmosphäre eines Clubs gerecht zu werden, erhöht der Meister mit zunehmender Konzertdauer die bpm-Anzahl, was allerdings in keinster Weise den Genuss eines CvD-Solo-Konzerts mindern wird. Die zweistündige Show ist ein Höhepunkt in meiner langjährigen, üppig bestückten Konzertliste diverser Künstler. Christopher von Deylen hat mal wieder eine nahezu unerreichbare Genialität bewiesen. Wenn er vogelfrei und ungehemmt loslegen darf, keine Grenzen ihn hindern um in immer höher, immer entferntere Klangwelten vorzudringen, dann ist es gut – für ihn und für uns Zuhörer sowieso.
Will Lücken
Phil Booth gehört mit seinen Awakenings-Events zu den rührigsten Personen der britischen EM-Szene. Knapp ein halbes Dutzend Mal im Jahr gibt er Musikern in Rugeley eine Möglichkeit, in intimem Rahmen Konzerte zu geben oder Dinge auszuprobieren - ob es eher Konzerte oder musikalische Workshops mit Publikum sind, liegt dabei im Auge des Betrachters.
Die "Awakenings" sind aber nicht der einzige Grund, den Blick des öfteren auf die "Lea Hall" in Rugeley zu werfen: Zweimal im Jahr veranstaltet Martyn Greenwood, seit seinem CD-Erstling einem größeren Kreis als "Concept Devices" bekannt, an gleicher Stelle ein Event mit ähnlichem Konzept. Der Jahreszeit angemessen heißen diese "Snow Bawl" und "Summer Bawl".